Von West nach Ost: Wie zugezogene Neonazis die Szene neu vernetzen

Alexander Deptolla und Oliver Malina am 15.02.2025 beim neonazistischen "Trauermarsch" in Dresden | Foto: Pixelarchiv

15. Februar 2025, Dresden: Neonazis haben sich wie jedes Jahr versammelt, um in geschichtsrevisionistischer Manier der Bombardierung im Jahr 1945 zu gedenken. Wesentlich mehr Neonazis sind in diesem Jahr gekommen, Anlass der dieses Mal besonders frühzeitigen und breiten Mobilisierung ist der 80. Jahrestag der Zerstörung der Stadt. Auch aus Sachsen-Anhalt sind mehr Rechte angereist als in den Jahren zuvor. Angeführt wird ihr Block mit einem professionell gedruckten Transparent von „Aktivisten aus dem Harz“, begleitet von dem 2023 von Dortmund nach Halberstadt umgesiedelten Alexander Deptolla.

Fronttransparent des Blocks mit Neonazis aus u.a. Sachsen-Anhalt am 15.02.2025 in Dresden. 1: Angelique Gutsche (Halberstadt), 2: Tobias Raabe (Harz), 3: Thomas Knochenhauer (Aschersleben), 4: Ingo Aßmann (Harz, ehem. Dortmund), 5: Angela Miehe (Magdeburg / Wolfen). Am Transparent der neonazistische Nachwuchs aus dem Harz. | Foto: Tim Moench

Aus Westdeutschland zugezogene Neonazis wie Deptolla versuchen, die Szene zu vernetzen und zu mobilisieren. Auch neue Akteure, vor allem in Form der im Laufe des Jahres 2024 zahlreich entstandenen Jugendgruppen, sollen an die Szene gebunden werden.

Knapp zwei Monate zuvor, 21. Dezember 2024, Magdeburg: Keine 24 Stunden nach der verheerenden Amokfahrt über den städtischen Weihnachtsmarkt sind etwa 2000 Neonazis zusammengekommen, um ihre rassistische Deutung der Ereignisse in die Stadt zu tragen. Die Stimmung ist aufgeheizt, die Organisatoren der Demo um Alexander Deptolla haben teils Mühe, die Menge am stark migrantisch geprägten Hasselbachplatz unter Kontrolle zu halten. Auch die Polizei ist zu diesem Zeitpunkt, trotz deutlicher Vorzeichen für die Größe der Mobilisierung, stark unterbesetzt. Es kommt zu einzelnen körperlichen Auseinandersetzungen der teils angetrunkenen Neonazis untereinander, auch ein Journalist wird angegriffen1. Nach mehreren Reden führender Kader der Szene, darunter von Thorsten Heise, der mit einer klaren Bezugnahme auf das verbotene Sturmlied der SA endet und damit die Menge zum Rufen der ebenfalls verbotenen Parole „Deutschland erwache!“ animiert, zieht die Versammlung als „Schweigemarsch“ Richtung Hauptbahnhof. Dort endet dann schnell die Kontrolle der Versammlungsleitung: Junge Neonazis laufen grölend Richtung Bahnhofshalle und greifen dort zwei People of Colour an2. In den folgenden Wochen wird die rassistische Gewalt in der Stadt stark zunehmen3.

Junge Neonazis aus Magdeburg und dem Harz am Fronttransparent der JN am 21.12.2024 in Magdeburg. Ganz links: Phillip Arndt (Jung&Stark Magdeburg) | Foto: Marius Alexander Konstanz

Neben Deptolla fielen eine ganze Reihe weiterer regionaler und überregionaler Akteure in der Organisationsstuktur der Demonstration auf: Während Rechtsrock-Musiker Philipp Neumann (Landkreis Stendal) den Nachwuchs der bundesweit angereisten Jungen Nationalisten (JN) etwa am Fronttransparent koordinierte, stellten Oliver Malina (Nienhagen), Thorben Vetter (Harz), Niklas Busch, Sascha Krolzig (beide Dortmund) und andere den Ordnerdienst.

Neue Zuzüge und alte Bekannte

Die Initalzündung für die aktuelle Umzugswelle westdeutscher Neonazis nach Ostdeutschland gab im Jahr 2020 die Initiative Zusammenrücken in Mitteldeutschland, die das Ziel verfolgte, Umzugswilligen Wohnorte, Jobs und politische Kontakte im Osten zu vermitteln. Einer der ersten Umsiedler war dabei der Dortmunder Die Rechte-Kader Michael Brück, den es ins sächsische Chemnitz zog4. Im Interview mit den Machern von Zusammenrücken erklärte Brück damals, Westdeutschland sei „im Endeffekt verloren“, dort sei mit legalen Mitteln im Sinne der Neonazis nichts mehr zu erreichen. Im Osten sei das anders. Mehrere Person aus seinem Dortmunder Umfeld würden deshalb seine Schritte beobachten, um es ihm dann ggf. gleichzutun.

Manuela Grundmann (links) und Alexander Deptolla (rechts daneben) 2022 bei der Beerdigung von Siegfried „SS-Siggi“ Borchardt in Dortmund | Foto Pixelarchiv

Der bekannteste Zuzügler aus den in der Partei Die Heimat aufgegangenen Strukturen von NPD und Die Rechte in den Harz war im Jahr 2023 dann Alexander Deptolla. Der vor allem als Organisator des Kampfsport-Events Kampf der Nibelungen (KdN) bekanntgewordene Neonazi war schon zuvor gut in die regionale Szene vernetzt. Letztlich war es vermutlich auch die Beziehung zu Manuela Grundmann aus Wernigerode, zuvor aktiv bei der inzwischen aufgelösten Harzrevolte, die Deptolla in den Harz führte. Seit Sommer 2023 ist auch Deptollas Firma Tremonia Druck, über die u.a. das Merchandise für KdN hergestellt wird, in der Region angesiedelt. Genutzt wird dafür eine Halle der ehemaligen HMW Möbelwerke in der Otto-Spielmann-Straße 68 in Halberstadt.

Einen Anstoß für die Zuzugswelle in den Nordharz könnten Martin Schüttpelz und Lisa Virchow5 gegeben haben. Kurz nachdem diese Ende 2020 aus Niedersachsen auf einen Hof in Aderstedt (Gemeinde Huy) gezogen waren, zeigte sich im Jahr 2021 erstmals öffentlich die Gruppe Harzrevolte unter Führung von Schüttpelz und Marcel Kretschmer. Neben Schüttpelz (Spitzname „Merlin“), der zuvor u.a. bei JN und Die Rechte aktiv gewesen war, zog es aus diesem Umfeld auch Kevin Simon (Spitzname „Kasi“) samt Familie in die Gemeinde und zur Harzrevolte.

Neben gemeinschaftsbildenden internen Aktivitäten versuchte die Harzrevolte früh, lokal wie regional an Coronaproteste anzudocken. Sie nahm etwa ab Dezember 2021 regelmäßig an den Montagsdemonstrationen in Halberstadt teil und führte diese teilweise an, so auch am 14. Februar 2022, als die Demonstration mit Fackeln vor das Wohnhaus von Bürgermeister Daniel Szarata zog.

Jubiläumsfeier von Harzrevolte am 05. Februar 2022. 1: Andre Penczek (Dortmund), 2: Dominik Brandes (Braunschweig), Manuela Grundmann (Wernigerode / Halberstadt), 4: Robin Reiche (Harz), 5: Sebastian Weigler (Börde / Braunschweig), 6: Martin Schüttpelz (Aderstedt), 7: Marcel Kretschmer (Thale), 8: Kevin Simon (Huy), 9: Johannes Welge (Braunschweig), 10: Tobias Raabe (Harz), 11: Pascal Ostholte (Dortmund), 12: Maximilian Ziems (Thale), 13: Brian Brüsselsbach (Dortmund) | Screenshot Facebook

Ungefähr zeitgleich mit Entstehung von Harzrevolte waren es Markus Walter aus Kerpen und Matthias Deyda aus Dortmund, die sich in Halberstadt mit einer Filiale der Clever MPU in der Quedlinburger Str. 21 in Halberstadt niederließen6. Die Firma bietet, seit 2023 unter dem Namen Nitro MPU UG im alleinigen Besitz von Walter, Dienstleistungen zur Vorbereitung von Autofahrer:innen auf medizinisch-psychologische Untersuchungen (MPU) an. Der Hauptsitz ist offiziell in Leverkusen, Geschäftsführer weiterhin Detlef Heinz Modler, von dem Deyda und Walter die Firma ursprünglich auch erworben hatten. In einem Post aus dem Jahr 2023 wurde Martin Schüttpelz von Walter als Mitarbeiter bezeichnet. Im September 2021 organisierte die Firma eine „Mallorca Party“ im Veranstaltungsraum „Zum Goethe“ in Halberstadt7. Zu dessen Betreiber Rene Götting (Malerbetrieb Götting) pflegt Walter weiter ein freundschaftliches Verhältnis.

Markus Walter, Matthias Deyda, Michael Brück und Jenny Jünemann (Jerichower Land) am 07.11.2020 bei einer Querdenken-Demonstration in Leipzig | Foto: Pixelarchiv

Zusätzlich erwarben Walter und Deyda in Halberstadt gemeinsam eine Immobilie, ein Mehrfamilienhaus in der Wernigeröder Str. 34., wo augenscheinlich zeitweise auch aus einer Wohnung heraus Prostitution betrieben wurde. Auf sozialen Medien suchte Walter nach „Kameraden“, welche in dem Haus im Gegenzug für mietfreies Wohnen und „politischen Anschluss“ beim Renovieren helfen würden.

Markus Walter sucht 2022 Unterstützung bei der Renovierung seiner Immobilie in Halberstadt | Screenshot facebook

Guten Kontakt pflegt Markus Walter auch zu dem mittlerweile in Odessa lebenden Neonazi Philipp Hasselbach, der mit seinem Vater unter dem Namen STEX ein Speditionsunternehmen mit Filialen in Deutschland, der Ukraine und Georgien betreibt. Nachdem Walter die ausländischen Niederlassungen besucht hatte, tauchte die ukrainische STEX-Mitarbeiterin Anastasia Kaufmann (damals noch Anastasia Bulakh) 2024 plötzlich als Werbegesicht im Büro von Nitro MPU in Halberstadt auf. Regelmäßig organisiert STEX auch Spendenaktionen, mit denen Ausrüstung und Drohnen für die ukrainischen Streitkräfte beschafft werden.

Inzwischen ist Walter mit der Szeneanwältin Christina Reinhart liiert, die etwa den Hallenser Neonazi Sven Liebich (jetzt „Marla Svenja Liebich“) in zahlreichen Strafverfahren vertrat. Gemeinsam besuchten Walter und Reinhart die Aufmarsch im Dezember 2024 in Magdeburg und im Februar 2025 in Dresden.

Markus Walter und Christina Reinhart am 21.12.2024 in Magdeburg | Foto: Recherche Nord

Regelmäßig trifft sich Walter in Halberstadt auch mit Philipp Neumann, der sich etwas entfernt vom Harz im Landkreis Stendal niedergelassen hat. Nachdem bei dem Rechtsrock-Musiker im September 2023 eine Hausdurchsuchung anlässlich des bundesweiten Verbots8 der Hammerskin Nation9 stattgefunden hatte, zog dieser, seiner subkulturellen Heimat beraubt, Anfang 2024 von Bad Neuenahr-Ahrweiler (Rheinland-Pfalz) nach Sachsen-Anhalt. Ausschlaggebend für die Wahl seinen neuen Wohnorts dürfte für den Frontmann von FLAK10, der als „Liedermacher“ auch unter dem Namen Phil von Flak durch die Republik reist, wohl die räumliche Nähe zu seinem Schlagzeuger Tim Schmädicke (Börde) gewesen sein. Aber auch sonst war die Region nördlich von Magdeburg in der Vergangenheit ein Hotspot der Rechtsrock-Szene. Nicht weit entfernt in Angern wohnen zudem die ehemaligen Hammerskins Steffen und Carmen Jenrich, die dort zuletzt eine rechte „Hofgemeinschaft“ betrieben hatten11. Schon im Jahr 2004 hatte die Polizei auf dort u.a. eine Panzerfaust und 4 Kilogramm Sprengstoff gefunden12.

FLAK 2019 in Ostritz, Bandmitglieder v.l.n.r.: Tino Hänisch, Philipp Neumann, Tim Schmädicke | Foto: RechercheNetzwerk Berlin

Seine Zukunft scheint Neumann, dem schon ab 2012 im Verfahren gegen das Aktionsbüro Mittelrhein die „Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung“ vorgeworfen worden war13, in weniger von Repression bedrohten Strukturen zu sehen: Im November 2024 ließ er sich in Riesa zum stellvertretenden Parteivorsitzenden von Die Heimat wählen. Die Partei verkündete zu seiner Wahl, Neumann, der zuvor schon das parteieigene Heimat.Kultur.Werk leitete14, bringe „frischen Wind und kreative Impulse in die Parteiführung“. 

Philipp Neumann und Markus Walter (im Vordergrund) bei der Montagsdemonstration am 07.04.2025 in Halberstadt | Foto: Objektiv Ost

Zumindest Matthias Deyda scheint seinen Wohnsitz in Dortmund bisher nicht aufgegeben zu haben – vermutlich auch, weil daran sein Sitz im Dortmunder Stadtrat gekoppelt ist, dem er als fraktionsloses Mitglied angehört. Einem in Szenekanälen veröffentlichten Eilbeschluss des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen zu einem gegen Deyda verhängten Ausreiseverbot ist zu entnehmen, dass er weiterhin im Szeneobjekt Thusneldastraße 3 gemeldet ist.

Ingo Aßmann (1.v.r.) und Ronny Baczinski (2.v.r.) am 21.12.2024 in Magdeburg | Foto: Recherche Nord

Dem Ruf nach Halberstadt ebenfalls gefolgt sind Ingo Aßmann und Thorben Vetter, beide zuvor in Dortmund aktiv. Der gelernte Metzger Aßmann hatte dort bereits 2014 für Die Rechte zum Stadtrat kandidiert. Beim Aufmarsch in Magdeburg im Dezember 2024 zeigte er sich gemeinsam mit dem langjährigen Blankenburger Neonazi Ronny Baczisnki. Thorben Vetter war in Dortmund zuletzt im Ortsvorstand von Die Rechte und der Gruppe Frontline Skinheads aktiv gewesen15.

Thorben Vetter (Harz) und Matthias Hille (Dortmund) als Ordner am 21.12.2024 in Magdeburg. Im Hintergrund: Der Lautsprecherwagen aus Dortmund | Foto: Pixelarchiv
Made in Halberstadt? Oliver Malina mit Jacke seiner Band Rammjäger bei der „Trauerstunde“ für den Rechtsrock-Unternehmer Henry Behr am 18.10.2024 in Gräfenhainichen | Foto: Pixelarchiv

Auch ein weiterer Player aus der Region, der sich in den Jahren zuvor weitgehend in die rechte Subkultur zurückgezogen hatte, tauchte jetzt wieder auf: Oliver Malina. Bundesweite Bekanntheit hatte dieser als Teil des Musiknetzwerks Honour&Pride mit der Organisation von Rechtsrockkonzerten in seinem Heimatort Nienhagen erlangt. Das letzte Konzert in der Alten Hopfendarre 2014 zog über 1000 Neonazis aus ganz Europa an. Der Vermieter des Geländes hatte nach einer von ihm initiiertem Abstimmung im Dorf verkündet, nicht mehr weiter an Malina vermieten zu wollen16. In der Folge verzichtete dieser auf die Organisation von Großkonzerten und verschwand für einige Jahre aus der öffentlichen Wahrnehmung. Spätestens ab 2022 zeigte sich Malina dann wieder öffentlich mit Kleidung der überregionalen Kameradschaft Division 45, welche sich aber schließlich im September 2023 wieder auflöste – aus Angst vor einem Verbot gemeinsam mit einer ganzen Reihe von Neonazi-Organisationen17. Ungefähr seit dieser Zeit ist Malina mit seiner Band Rammjäger auch wieder musikalisch aktiv und zeigt sich öffentlich bei verschiedenen Aktionen an der Seite von Alexander Deptolla. Auch trugen beim Aufmarsch in Dresden zahlreiche Teilnehmer aus dem Harz Mützen mit dem Rammjäger-Logo. Engen Kontakt pflegt Malina weiterhin auch mit Mitgliedern der Brothers of Honour18, einer Unterstruktur des in Deutschland verbotenen Blood&Honour-Netzwerks.

Andreas Meseberg und Oliver Malina am 11.02.2023 beim „Tag der Ehre“ in Budapest in Kleidung der Division 45 | Foto: Paul Hanewacker
Neonazis 2023 beim Bundesligaspiel Fortuna Düsseldorf gegen 1. FC Magdeburg. Mittlere Reihe: Björn Pessel (Liedermacher „Der Visionär“, Börde), Andreas Meseberg (Mansfeld Südharz), Jens Gast (seit ca. 2024 Brothers of Honour – Schweiz North, Wolfen), Oliver Malina (Nienhagen). Unten: Angela Miehe (Wolfen / Magdeburg)

Lokale und übergeordnete Strategien

Im Interview mit der Initiative Zusammenrücken erklärte Michael Brück 2020 auch, dass mit den Umzügen der Kader nach Ostdeutschland auch ein Strategiewechsel einhergehen müsse: Statt sich wie in Dortmund-Dorstfeld auf einzelne Kieze zu konzentrieren und möglichst radikal von der breiten Bevölkerung abzugrenzen, sei diese im Osten noch wesentlich empfänglicher für rechtes Gedankengut – ein zu radikales Auftreten daher eher kontraproduktiv.

Handshake mit Neonazis: Mario Kirste, Co-Organisator der Montagsdemos in Halberstadt begrüßt Alexander Deptolla, Erik Köhler und Fabian Reichardt | Screenshot Spiegel TV / Youtube

Nachdem sich die Harzrevolte Anfang des Jahres 2023, wohl aufgrund interner Streitigkeiten um die Ausrichtung, aufgelöst und Martin Schüttpelz sich zurückgezogen hatte, war der Weg frei für eine neue losere Organisierung unter dem zuvor schon von Harzrevolte genutzten Label „Harz verteidigen“. Bald wieder regelmäßig besuchte man, jetzt unter der Führung Deptollas, die Montagsdemonstrationen in Halberstadt und zeigte sich dabei auffallend freundschaftlich mit deren Organisator:innen um Marcel Böhmer und Mario Kirste.

Ab Februar 2024 versuchte man mit dem Kanal Stadtgeflüster Halberstadt ein eigenes Nachrichtenportal mit einer Mischung aus eigenen Aktionsberichten und Kommentierung lokaler Ereignisse auf Telegram zu etablieren. Relativ schnell änderte sich hier die Strategie wieder: „Unverfängliche“ Lokalnachrichten und Kommentierung wurden im gleichen Stil im offiziellen Kanal der Montagsdemos, Halberstadt Gemeinsam Infokanal, gebündelt, für Nachrichten mit eindeutigerem Szene-Bezug und teils martialische Kurzvideos der neue Kanal Harz verteidigen genutzt. Die Trennung soll vermutlich vor allem dazu dienen, die politische Kommentierung der Neonazis einem breiteren Publikum der Montagsdemos zugänglich zu machen, ohne deren vermeintlich bürgerliches Image durch die offensichtliche Militanz von Harz verteidigen zu beeinträchtigen. So werden über Halberstadt gemeinsam auch regelmäßig Beiträge veröffentlicht, die den zivilgesellschaftlichen Gegenprotest als gewaltbereit zu diskreditieren versuchen.

Verhältnis zur AfD

Gedenkaktion von Harzrevolte 2022 in Halberstadt. V.l.n.r.: N.N., Robert Nisser, Maximilian Ziems (AfD), N.N., N.N., Martin Schüttpelz, Marcel Kretschmer, Matthias Deyda, Tobias Raabe | Screenshot Facebook

Die Übergänge zwischen neonazistischer Szene und Strukturen der AfD sind im Harz, wie in den meisten Regionen in Sachsen-Anhalt, längst fließend. 2024 tauchten auf kommunalen Wahllisten der AfD diverse Aktive von Harzrevolte und andere Harzer Neonazis auf. Als im Oktober 2024 während einer Montagsdemonstration in Halberstadt das Auto eines Teilnehmers aus der Gefolgschaft Deptollas abbrannte, beklagte anschließend AfD-Landeschef Martin Reichardt den „Brandanschlag“ auf ein AfD-Mitglied. Eben jenes Mitglied sollte am 21. Dezember dann beim Aufmarsch in Magdeburg gemeinsam mit JN-Aktivisten das Fronttransparent halten.

Die Harzer CDU um Kreischef Ulrich Thomas fordert unterdessen, das Kooperationsverbot der Partei mit der AfD aufzuheben19. DIe Zusammenarbeit zwischen den beiden Parteien ist dabei im Harz längst gelebte Praxis, etwa im Stadtrat von Quedlinburg20 oder dem Harzer Kreistag, wo AfD-Vertreter mit CDU-Stimmen auf Posten gehoben wurden21. Schon 2019 hatte Thomas in einer „Denkschrift“ gemeinsam mit dem Landtagsabgeordneten Lars-Jörn Zimmer gefordert, „das Soziale mit dem Nationalen zu versöhnen“ und für eine Koalition mit der AfD auf Landesebene geworben.

Regionale Vernetzung

Auffallend bemüht ist Alexander Deptolla, die regionale Szene zu vernetzen und zu mobilisieren. Als er im Frühjahr 2024 zunächst Schwierigkeiten hatte, lokale Neonazis zu den Halberstädter Montagsdemos zu mobilisieren, half etwa eine kampfsportaffine Gruppe aus dem Jerichower Land, Deptolla einen eindrucksvolleren Auftritt zu verschaffen. Michel Stackebrandt, Phillip Böttge, Alexander HubeAlexander Willberg und weitere aus Burg waren es dann im Juni 2024 auch, die den KdN-Verkaufsstand beim Kampfsportevent Day Of Glory IV in Combres-sous-les-Côtes (Frankreich) betreuen durften. Deptolla selbst war mit einem Ausreiseverbot belegt worden und konnte somit nicht anreisen22

Burger Neonazis 2024 in Combres-sous-les-Côtes: Alexander Hube(vorne), Phillip Böttge (hinten), Alexander Willberg (verdeckt) | Foto: Exif Recherche

Schon im Mai hatte Willberg, früher Spieler beim neonazistischen FC Ostelbien Dornburg, zusammen mit Deptolla, Hube, Tim Liehr (Burg) und Erik Köhler (Wernigerode) am Europakongress der Jungen Nationalisten in Eschede teilgenommen, wo eine Reihe von Sparringskämpfen durchgeführt wurde. Köhler reiste auch mit Deptolla zum Event Virtus et Honor, bei dem der Dortmunder Niklas Busch für das KdN-Team kämpfte23. Im Harz scheinen auf Köhler die Nachwuchshoffnungen der zugezogenen Kader zu liegen. Zunehmend übernimmt er Aufgaben, hielt bei der Montagsdemonstration am 7. April 2025 auch einen Redebeitrag zum Gedenken an die Bombardierung Halberstadts.

JN-Europakongress 2024 in Eschede. 1: Philipp Neumann (LK Stendal), 2: Alessandro Migliaccio (Dortmund), 3: Alexander Willberg (Burg), 4: Erik Köhler (Harz), 5: Alexander Hube (Burg), 6: Alexander Deptolla, 7: Tim Liehr (Burg) | Screenshot Spiegel TV/Youtube

Ab Sommer 2024 trafen sich die Burger Neonazis, von denen sich einige, darunter Alexander Hube, auch im Umfeld des III. Weg bewegen, dann zwischen Magdeburg und Dessau an öffentlichen Orten zu Sparrings- und Trainingseinheiten. Als Trainer fungierte dabei teils Gregor Nebel, etwa bei einer Einheit am 11. August auf dem Gelände der Hochschule Magdeburg-Stendal. Nebel, der vor einigen Jahren aus Niedersachsen nach Aken umgezogen ist, kann trotz öffentlicher Bekanntheit seiner neonazistischen Aktivitäten24 immer wieder bei verschiedenen sozialpädagogischen Trägern arbeiten, zuletzt etwa als Betreuer für u.a. minderjährige Geflüchtete bei der BVIK gGmbH in Köthen25.

Gruppenbild nach Kampfsporttraining in Burg mit Gregor Nebel. U.a. markiert: Tim Liehr, Michel Stackebrandt, Alexander Hube, Niklas Kleinau, Phillip Böttge (alle Burg) | Screenshot Instagram
Michel Stackebrandt (ganz links), Alexander Hube (im T-Shirt der Kampfkunstschule Fighting Spirit des Burger AfD-Manns Dirk Bernsee) und Alexander Willberg (rechts) am 24.08.2024 am Rand der Demonstration gegen den CSD in Magdeburg | Foto: Marco Kemp

Teil der Burger Gruppe sind auch einige Jugendliche mit ukrainischen Migrationshintergrund, die regelmäßig an den Trainings teilnahmen. Als diese sich am 14. August 2024 an der Demonstration junger Neonazis gegen den CSD in Magdeburg beteiligten, beobachteten die Älteren um Stackebrand, Willberg und Hube das Geschehen vom Rand.

Junger Neonazi aus dem Umfeld der Burger KdN-Gruppe mit Hitlergruß an einem mit Hakenkreuz und Hitlerbart beschmierten Denkmal in Burg | Screenshot Instagram

Noch am Abend des Angriffs auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt am 20. Dezember traf sich die Gruppe in der Innenstadt von Burg zu einer Spontandemonstration und skandierte dabei lautstark zur Melodie von Gigi D’Agostino „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“.

Traditionell gut ins Jerichower Land vernetzt ist auch der neonazistische26 Motorradclub Division 39 MC um Florian Behrends, der mittlerweile über drei Chapter („Magdeburg“, Midgard“ und „Nordland“) verfügt. Mit seinem Clubhaus in der Niegripper Straße, am Rand eines Wohngebiets im Magdeburger Stadtteil Rothensee, bietet er der Szene weiterhin einen der wenigen beständigen Anlaufpunkte in der Stadt. Seit dem Verbot der Hammerskin Nation und Artgemeinschaft in 2023 mit den darauffolgenden Selbstauflösungen diverse neonazistsicher Strukturen sind lediglich die Social Media-Profile von zwei Chaptern verschwunden, ein drittes Profil wird nicht mehr genutzt. Dass hier auch ein gutes Verhältnis zu Alexander Deptolla gepflegt wird, zeigte sich bereits im September 2020: Auf der Suche nach einem Austragungsort für die Aufzeichnung des von Repression geplagten Kampf der Nibelungen fiel die Wahl auf Magdeburg. Ein Täuschungsmanöver der Mitglieder von Division 39 half allerdings nichts: die Veranstaltung wurde bereits vor Beginn von der Polizei aufgelöst, der Boxring beschlagnahmt. Um möglicherweise vom Veranstaltungsort abzulenken, hatte der Club eine Reise nach Rostock zu einem gemeinsamen Freund vorgetäuscht: Mirko Appelt. Der Präsident des dortigen Chapters der Hell’s Angels hat eine langjährige Vergangenheit in der neonazistischen Szene in Sachsen-Anhalt, lief auch noch im Jahr 2025 beim Dresdener Trauermarsch im von Deptolla angeführten Block der Neonazis aus Sachsen-Anhalt. Auch zum Hell’s Angels-Chapter in der Altmark unter Präsident Kay Schweigel27 pflegt Division 39 eine langjährige Freundschaft und mutmaßlich auch Geschäftsbeziehung.

Mirko Appelt und Alexander Deptolla | Foto via Exif Recherche

Die Aufzeichnungen der KdN-Kämpfe im Jahr 2020 mussten schließlich in einem beengten Neonazi-Gym in Schmölln und einem Heizungskeller stattfinden28. Ein vorerst letzter Versuch eines Kampf der Nibelungen sollte nach Deptollas Umzug schließlich im November 2023 stattfinden, mutmaßlich auf dem Hof von Enrico Marx in Sotterhausen (Mansfeld-Südharz), wurde aber bereits vor Beginn abgesagt. Seitdem beschränkt man sich auf die Teilnahme an Veranstaltungen im europäischen Ausland.

Neue Strukturen

Gedenkaktion am 16.01.2025 in Magdeburg. Mittig: Alexander Deptolla, Jan Neitzel und Robert Pahnitz | Foto: Objektiv Ost

Seit 2024 beteiligt sich Alexander Deptolla, teils auch begleitet durch weitere Harzer Neonazis, maßgeblich an den Gedenkaktionen der lokalen Szene zur Bombardierung Magdeburgs am 16. Januar auf dem Domplatz. Regelmäßig nehmen dort, auch schon in den Jahren zuvor, Mitglieder von Division 39 teil. Im Januar 2025 zeigte sich Deptolla hier vertraut mit den Mitgliedern der Elbjugend Magdeburg, des im Sommer / Herbst 2024 neu gegründeten örtlichen Ablegers der Jungen Nationalisten (JN), die ihn wenige Wochen zuvor schon beim Aufmarsch in Magdeburg in der Ordnerstruktur unterstützt hatten.

Die Elbjugend war im Spätsommer 2024 als Versuch entstanden, Jugendliche aus dem Umfeld der zu dieser Zeit im Kontext der CSD-Gegenproteste zahlreich neu entstehenden Jugendgruppen an Parteistrukturen zu binden. Vorbild war hier sicher die Dresdener Elblandrevolte. Unterstützt durch Deptolla gelang es dem Elbjugend-Chef Robert Pahnitz und „Führer“ Anthony Schade zunächst, ein gutes Dutzend Jugendliche, darunter viele aus dem Stadtteil Sudenburg, zu gewinnen, die sich nach der Demonstration gegen den CSD in Magdeburg am 24. August 2024 erstmals gemeinsam auf einem Gruppenfoto zeigten.

Gruppenbild der Elbjugend Magdeburg am 24.08.2024. Viele der Abgebildeten sind dort inzwischen nicht mehr, teils bei anderen Jugendgruppen, aktiv. | Screenshot Instagram
Screenshot aus dem internen Telegram-Chat der Elbjugend Magdeburg mit Bezugnahme von Robert Pahnitz („Pitti MagdeburgPitti“) auf Deptolla

Wie Pahnitz selbst zu seiner heutigen Rolle kam, ist nicht ganz klar. Zunächst bewegte sich der 32-Jährige, der sich selbst als „erlebnisorientiert“ bezeichnet, einige Jahre in der linken Szene Magdeburgs, bevor er etwa ab 2015 als Supporter der lokalen Hell’s Angels auftrat, nur um einige Jahre später auf sozialen Medien wieder für linke Projekte zu werben. Im Juli 2024 mobilisierte er dann auf seinem TikTok-Account „pittitv“ kurzzeitig für eine neue Gruppe mit dem wenig zurückhaltenden Namen Aryan Race MD, welche offensichtlich kurz darauf in der Elbjugend aufgehen sollte. Ein Foto aus dem Februar 2024 zeigte ihn da bereits vor dem Szeneobjekt in Dortmund-Dorstfeld, das auch Matthias Deyda als offiziellen Wohnsitz dient.

Im internen Telegram-Chat der Elbjugend nutzte Pahnitz zunächst einen Account, welcher im Profilbild ein Foto das Magdeburger Neonazis Tommy Müller mit dessen Partnerin Franziska Köhler zeigte. Wie es dazu kam, ist unklar, könnte aber auf eine Beteiligung Müllers am Aufbau der Elbjugend hindeuten, etwa dadurch, dass der Administrator-Account von ihm an Pahnitz weitergegeben wurde.

Zerfall und Wiederaufbau der JN

JN Sachsen-Anhalt am 15.02.2025 in Dresden. 1: Lisa Michelle Amelang (Salzlandkreis), 2: Anthony Schade (Magdeburg), 3: Samantha Friedrich (Mansfeld-Südharz), 4: Robert Pahnitz (Magdeburg), 5: Marcel Gerstmann (Mansfeld-Südharz), 6: Sebastian Weigler (Börde), 7: Jonas Zarrad (Wittenberg) | Foto: Dokunetzwerk Rhein-Main

Ihre urspüngliche Blütezeit hatte die JN in Sachsen-Anhalt, wie auch bundesweit, in den späten Nuller- bis frühen Zehnerjahren, korrespondierend mit den Wahlerfolgen der damaligen NPD. Führende Kader waren im Land ansässig, etwa Andy Knape (heute Andy Hoffmann) und Michael Schäfer. Nach deren Rückzug, dem Ausscheiden der NPD aus den Landesparlamenten und der Neuorientierung vieler Kader in Richtung der „Neuen Rechten“, zur Identitären Bewegung und ins Umfeld der AfD, gab es zunächst keine festen Strukturen mehr im Land.

Das änderte sich erst wieder, nachdem Björn Rimmert 2018 von Hamm nach Wittenberg umgezogen war. Im Jahr 2020 gründete sich dann unter seiner Führung der JN-Stützpunkt Anhaltiner Land, 2021 folgte der länderübergreifende Gebietsverband Mitte. Nachdem Rimmert relativ schnell zum III. Weg übergelaufen war, löste sich der Stützpunkt Anhaltiner Land wieder auf. Heute tritt man wie vor 15 Jahren  als JN Sachsen-Anhalt auf – die Elbjugend Magdeburg nimmt hier eine Sonderstellung ein. Einige Mitglieder aus Rimmerts Zeit sind dennoch geblieben, darunter Jonas Zarrad aus Wittenberg, andere wiederum vom III. Weg dazugestoßen, wie etwa Marcel Gerstmann aus Erdeborn (Mansfeld-Südharz).

Etwas nördlich der Harzregion, in der westlichen Börde, hat sich ca. Anfang 2023 der aktuelle JN-Bundesvorsitzende Sebastian Weigler niedergelassen. Trotz des neuen Wohnorts, immer noch nah an seiner ursprünglichen Heimat Braunschweig, ist allerdings zumindest öffentlich bisher kein verstärktes Engagement Weiglers in Sachsen-Anhalt zu beobachten. Am 21. Dezember 2024 etwa beteiligte er sich zwar am Aufmarsch in Magdeburg, übernahm aber keine sichtbare Aufgabe.

JN zwischen Salzlandkreis und Harz

Ingo Aßmann (Mitte links) und Thomas Knochenhauer (Mitte rechts) am 21.12.2024 in Magdeburg | Foto: RechercheNetzwerk Berlin

Auch in der Harzregion ist eine Reihe neuer JN-Aktivisten zu beobachten, welche sich jedoch im Gegensatz zur Elbjugend nicht als eigene Gruppe darstellen. Neben Halberstadt und Wernigerode, wo Deptolla und Umfeld zunehmend Jugendliche mobilisieren, ist ein Schwerpunkt auch in Aschersleben (Salzlandkreis) zu erkennen. Diese Entwicklung dürfte vermutlich auch mit dem Ascherslebener Neonazi Thomas Knochenhauer zusammenhängen, der gut in der Region vernetzt ist und sichtbar die Nähe der Zuzügler sucht. Der langjährige NPD-Mann und regelmäßige Fahrer des Lautsprecher-Bollerwagens bei der örtlichen Reichsbürger-Montagsdemonstration verfügt nicht nur über ein langes Vorstrafenregister29, sondern auch über mehrere Jahrzehnte Szene-Erfahrung. Um 2012 etwa organisierte er regionale Unterstützung für das von Axel Schunk und Thomas Wulff erworbene Schloss Trebnitz im gleichnamigen Ortsteil von Könnern.

Aktionen und Verhältnis zu anderen Jugendgruppen

Zu den zahlreichen über den Sommer 2024 neu entstandenen Jugendgruppen, darunter in Sachsen-Anhalt relevant vor allem Jung & Stark (JS)Deutsche Jugend Zuerst (DJZ)Sachsen-Anhalt Revolte (ehemals Frei Deutsch Jung – FDJ), Deutsche Jugend voran (DJV), Kameraden Trupp Deutschland (KTD) und Deutsche Elite Jugend (DEJ), herrscht bei der JN ein ambivalentes Verhältnis.

Während man in internen Chats dazu appelliert, diesen Gruppen nicht beizutreten und sie etwa als „unorganisiert“ bezeichnet, ist man auf der Straße doch auf sie angewiesen, um die eigenen Aktionen größer wirken zu lassen. 

Mittig: Leon Bach, Mitglied der inzwischen aufgelösten Jungen Alternative aus Magdeburg beim Neonaziaufmarsch gegen den CSD am 24.08.2024 in Magdeburg | Foto: Marco Kemp

War die Gegendemonstration zum CSD in Magdeburg am 24. August 2024 noch durch Strukturen von JS und DJV, teils aus Berlin, getragen worden, versuchte die JN dann am 14. September in Halle (Saale), das Ruder selbst in die Hand zu nehmen – verglichen zur Demo in Magdeburg mit mäßigem Erfolg. Die nur ca. 100 Neonazis mussten sich mit einer Standkundgebung vor dem Hallenser Hauptbahnhof zufrieden geben – verglichen mit anderen Aktionen gegen CSDs in Ostdeutschland in diesem Sommer ein schwaches Ergebnis. Drei Wochen zuvor in Magdeburg war man noch mit mehr als doppelt so vielen Teilnehmenden durch die Stadt gezogen.

JN-Kundgebung gegen den CSD in Halle am 14.09.2024. Am Megafon: Ringo Trinks (Dessau) | Foto: RechercheNetzwerk Berlin

Folgende Aktionsversuche scheiterten wohl auch an der eigenen Unfähigkeit im Umgang mit sensiblem Informationen. Ein für den 18. Oktober geplanter unangemeldeter „Kiezspaziergang“ der Elbjugend in Magdeburg wurde durch antifaschistische Intervention und die Polizei verhindert. Auch eine aus dem Umfeld Deptollas organisierte zentrale Aktion zum Volkstrauertag am 17. November, vermutlich in Osterwieck (Landkreis Harz), fiel einem Polizeieinsatz zum Opfer.

Die Misserfolge manifestierten sich auch in einem offensichtlichen Mitgliederschwund, der im Januar 2025 bei den Aktionen rund um den Jahrestag der Bombardierung Magdeburgs sichtbar wurde. Zu der auch von Deptolla besuchten Gedenkaktion am 16. Januar auf dem Domplatz erschien Robert Pahnitz nur noch in Begleitung einer Handvoll Neonazis, darunter Andreas Kleinert und Jan Neitzel, die zuletzt bei der kurzlebigen Neue Stärke Partei (NSP) aktiv gewesen waren. 

JN-„Aktivistentag“ im Magdeburger Stadtteil Berliner Chaussee am 18.01.2025. Marcel Gerstmann (hinten links) und Robert Pahnitz (hinten rechts) im Gespräch | Foto: Objektiv Ost

Für den 18. Januar mobilisierte die JN dann zu einem „Aktivistentag“ nach Magdeburg, angekündigt waren eine Kranzniederlegung, ein Vortrag zur Bombardierung Magdeburgs und ein Konzert des Liedermachers Benjamin Gruhn aus Sachsen. Nachdem sich am Treffpunkt für die Kranzniederlegung nur vier Neonazis um Jonas Zarrad und Andreas Kleinert eingefunden hatten und kurz darauf unverrichteter Dinge wieder abgezogen waren, sammelten sich die restlichen Veranstaltungsteilnehmer:innen auf einem Barackengelände an der Berliner Chaussee. Im dort von Norman Bauer betriebenen privaten Club mit dem Namen Vip hatte im Herbst auch schon eine Gründungsfeier der Elbjugend stattgefunden. Bauer war um 2015 bereits als Teilnehmer einer AfD-Demonstration und im Umfeld der Interessengemeinschaft Breitscheidstraße, welche sich gegen die Einrichtung einer Unterkunft für Geflüchtete im Stadtteil Herrenkrug einsetzte, aufgefallen30. Zu der Veranstaltung mit einem Vortrag von Lutz Giesen, dem Organisator des „Trauermarschs“ in Dresden, erschien neben JN-Mitgliedern aus diversen Regionen Sachsen-Anhalts schließlich auch eine Abordnung von Jung & Stark um deren Sachsen-Anhalt-Chef Justin Liepe.

Sachsen-Anhalts Jung&Stark-Landeschef Justin Liepe bei der Demonstration gegen den CSD in Wismar (Mecklenburg-Vorpommern) am 14.09.2024 | Foto: Pixelarchiv

Als für den 22. März 2025 verschwörungsideologische Akteure zu Demonstrationen unter dem Motto „Gemeinsam für Deutschland“ in allen 16 Bundesländern aufriefen, stiegen auch JN und weitere Jugendgruppen aus Sachsen-Anhalt in die Mobilisierung ein. Die weitgehend inhaltsleere Demonstration in Magdeburg wurde u.a. von Denny Zenker organisiert, der in der Vergangenheit nicht nur im Umfeld der Corona- und „Bauern“-Proteste aufgefallen war, sondern auch seine TikTok-Anhängerschaft zu nicht politisch verortbaren Gedenkaktionen nach dem Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt mobilisiert hatte.

An diesem Tag zeigte sich in Magdeburg ein Bild, das auch 2024 schon zu einigen Aktionen gegen CSDs in Ostdeutschland sichtbar geworden war: Mitglieder diverser Jugendgruppen, darunter Jung & Stark, Sachsen-Anhalt Revolte aus Bernburg bzw. dem Salzlandkreis und Deutsche Jugend Zuerst (DJZ) aus Halle, versammelten sich hinter dem Banner der JN und zeigten sich teils mit deren Utensilien, ohne dort selbst Mitglied zu sein.

DJZ Halle mit JN-Utensilien: Taylor Virkus (l.) und Maximilian Wühn (m.) mit Elbjugend-Chef Robert Pahnitz (r.) am 22.03.2025 in Magdeburg | Foto: Objektiv Ost
JS, JN, Sachsen-Anhalt-Revolte und DJZ am JN-Transparent: 1: Anthony Schade (Elbjugend Magdeburg), 2: Jonas Radvan (Sachsen-Anhalt Revolte Bernburg), Taylor Virkus (DJZ Halle) am 22.03.2025 in Magdeburg | Foto: Objektiv Ost
Elias Unger und Tim Rathke von DJZ Halle am JN-Transparent beim Aufmarsch gegen den CSD in Görlitz am 28.09.2024 | Foto: Thomas Witzgall

Auffällig war etwa die Teilnahme junger Neonazis von DJZ aus Halle (Saale) und Umland, einer Gruppe, die in den vergangenen Monaten vor allem durch massive Straßengewalt aufgefallen war. Am 14. Dezember 2024 hatte eine Gruppe aus etwa 20 Neonazis auf der Anreise zu einer Demo des ehemaligen AfD-Politikers Ferhat Sentürk in Berlin einen Wahlkampfstand der SPD angegriffen und zwei Personen verletzt. Die DJZ-Mitglieder Florian KührElias Unger und Pascal K. wurden draufhin in Untersuchungshaft genommen, ein Haftbefehl gegen Florian Baier wieder ausgesetzt. Ende Dezember kam es in der Folge zu Hausdurchsuchungen u.a. bei Tim Rathke in Schkopau, wie ein von diesem auf Instagram veröffentlichter Durchsuchungsbeschluss offenbart. Weitere Beschuldigte von DJZ sind u.a. John Nicklas Schmidt (Halle) und Celine Schulz (Leipzig). Auch für diverse weitere Angriffe in Halle (Saale) sollen sich Mitglieder der Gruppe verantwortlich zeigen. Am 15. Februar 2025 etwa waren u.a. Schmidt und Maximilian Wühn an einer Auseinandersetzung in Halle-Neustadt beteiligt, in einer anschließenden Polizeimeldung wurden die Neonazis als Opfer bezeichnet31. Am 24. März prügelte dann eine vierköpfige Gruppe u.a. mithilfe eines Teleskopschlagstocks einen schwarzen Polizisten ins Krankenhaus, der mit seiner Partnerin privat unterwegs war32Lucas Kühr wurde daraufhin in Untersuchungshaft genommen.

Ausblick

Zwar schaffen es Alexander Deptolla und die regionale JN, die neu entstandenen Jugendgruppen zu spezifischen Anlässen hinter ihrem Banner zu versammeln, die traditionellen gemeinschaftsbildenden Szeneaktivitäten wie Wandern, Liederabende, Trauer- und Gedenkaktionen scheinen für diese aber generell weniger Attraktivität zu besitzen. Trotz wochenlanger Mobilisierung zum „Pflichttermin“ in Dresden, erschienen dort nur wenige junge Neonazis aus Sachsen-Anhalt. Das sind Probleme mit denen etwa auch der Dresdener JN-Ableger Elblandrevolte zu kämpfen hat33. Inwiefern es gelingen wird, diese neuen Akteure abseits von weitgehend inhaltsleeren Demonstrationen im Stil der CSD-Gegenproteste an die etablierte Szene zu binden, bleibt abzuwarten. 

Zweifel an den Aussichten der Zuzügler, nachhaltige Strukturen im Harz aufzubauen, äußerte etwa auch der ehemalige Neonazi Axel Reitz. Deptolla mangele es an den Fähigkeiten zur Organisierung, wie sie etwa ein Michael Brück mitbringe. Er werde dort „auf dem untersten Niveau mit 10, 20, 30 Leuten dann rumhantieren“ und sonst wenig erreichen. 

Nichtsdestotrotz scheint des Selbstbewusstsein der Szene im Harz derzeit auf einem Höhepunkt, beflügelt sicher auch von der gesamtgesellschaftlichen Stimmung. Die Zivilgesellschaft im Harz berichtet jedenfalls längst von einer deutlichen Zunahme der Bedrohungen und Angriffe34.

Referenzen

Referenzen
1 https://www.mobile-opferberatung.de/21-12-2024-magdeburg/
2 https://www.mobile-opferberatung.de/21-12-2024-magdeburg-2/
3 https://www.mobile-opferberatung.de/monitoring/chronik-2025/
4 https://www.endstation-rechts.de/news/aus-dem-dortmunder-nazi-kiez-nach-sachsen-michael-bruck-zieht-nach-chemnitz
5 https://nazimelderhi.blackblogs.org/wp-content/uploads/sites/234/2018/11/hogge.pdf
6, 7 https://de.indymedia.org/node/234564
8 https://exif-recherche.org/?p=11538
9 https://exif-recherche.org/?p=9146#rheinland
10 https://www.lotta-magazin.de/ausgabe/65/musik-ist-eine-waffe/
11 https://www.nf-farn.de/voelkische-landnahme-bio-image
12 https://rechtsaussen.berlin/2011/12/nur-eine-gang-von-vielen/
13 https://antifainfoblatt.de/aib125/ein-rueckblick-auf-den-prozess-gegen-das-aktionsbuero-mittelrhein
14 https://jungle.world/artikel/2024/37/die-heimat-rechtsrock-konzert-riesa-partei-als-schutzschild
15 https://x.com/meanstreets_do/status/1410520004802580482
16 https://www.endstation-rechts.de/news/honour-pride-will-wieder-aktiv-werden
17 https://www.endstation-rechts.de/news/strategie-mit-selbstaufloesung-gegen-drohende-verbote
18 https://exif-recherche.org/?p=6351
19 https://www.mz.de/mitteldeutschland/sachsen-anhalt/cdu-harz-kreisverband-afd-brandmauer-merkel-4029773
20 https://x.com/DavePSander/status/1854620263087755528
21 https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen-anhalt/landespolitik/afd-cdu-brandmauer-wahl-pfarrer-quedlinburg-salzlandkreis-100.html
22 https://exif-recherche.org/?p=12020
23 https://msadortmund.noblogs.org/dortmunder-neonazis-rechtsextremer-kampfsportler-bei-der-gwg-neuss/
24 https://runtervondermatte.noblogs.org/das-extrem-rechte-kampfsportturnier-tiwaz-kampf-der-freien-maenner/#kaempfer-norddeutschland
25 https://bsky.app/profile/lsarechtsaussen.bsky.social/post/3l2f4ge5qsh2r
26 https://linksunten.indymedia.org/de/node/97066/
27 https://www.jedesjahrimsommer.net/2025/02/19/kampfsportverein-von-afd-kandidat-korell-werden-hier-rechte-gewalttater-ausgebildet/
28 https://exif-recherche.org/?p=6760
29 https://linksunten.indymedia.org/node/53770/index.html
30 https://linksunten.archive.indymedia.org/node/154385/index.html
31 https://dubisthalle.de/angriff-in-halle-neustadt-auf-opfer-eingetreten-und-mit-gegenstaenden-geschlagen
32 https://www.mz.de/lokal/halle-saale/polizist-wird-opfer-einer-rassistischen-attacke-in-halle-tater-in-u-haft-4022380
33 https://naziwatchdd.noblogs.org/post/2024/11/15/medialer-hype-und-wirklichkeit-analyse-zum-dresdner-jn-ableger-elblandrevolte/
34 https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen-anhalt/magdeburg/harz/rechtsextremer-zuzug-halberstadt-100.html