IB-Villa in Schkopau
Identitärer Rückzugsraum
Im Februar 2024 berichteten Der Spiegel1 und MDR2 über eine neue Immobilie der Identitären Bewegung (IB) in der Gemeinde Schkopau im Saalekreis, direkt vor den Toren von Halle.
Für 545.000 Euro wechselte die historische Villa in der Halleschen Straße 27 im Sommer 2020 den Besitzer. Von der Öffentlichkeit unbemerkt richteten sich seitdem zentrale Kader den IB auf 495 Quadratmetern Wohnfläche und einem ca. 5000 Quadratmeter großen Grundstück ein.
Rückblick und Neustart
Ab 2014 entwickelte sich Halle zu einem zentralen Ort der Identitären Bewegung in Deutschland. Aus dem lokalen Ableger Kontrakultur Halle rekrutierten sich einige ihrer wichtigsten Kader. Mit dem von einem wohlhabenden Unterstützer aus Bayern finanzierten „Hausprojekt“ mit dem Namen „Flamberg“, mitten in der Innenstadt neben dem geisteswissenschaftlichen Campus der Universität gelegen, versuchte die Gruppe ab 2017 öffentlichkeitswirksam ihren Entwurf einer „Gegenkultur“ in der Saalestadt zu etablieren. Regelmäßige Veranstaltungen des bieder auftretenden Institut für Staatspolitik (IfS) wechselten sich ab mit gewaltsamen Angriffen auf tatsächliche oder vermeintliche politische Gegner:innen. Gleichzeitig betrieben die extrem rechte NGO Ein Prozent für unser Land und der AfD-Landtagsabgeordnete Hans-Thomas Tillschneider dort zeitweise Büros.
Das ambitionierte Projekt scheiterte nicht nur an den eigenen Ansprüchen, sondern vor allem auch an der massiven antifaschistischen Gegenwehr vor Ort. Nach einem letzten versuchten Aufbäumen mit einer Demonstration im Juli 2019, welche von mehreren tausend Gegner:innen vollständig blockiert wurde, musste das Projekt letztlich aufgegeben und im Sommer 2020 an einen lokalen Immobilieninvestor verkauft werden.
Während verschiedene Mitglieder der zweiten Reihe der Kontrakultur politisch weitgehend in der Versenkung verschwanden, arbeiteten die zentralen Kader weiterhin intensiv, wenn auch nach außen zunächst deutlich zurückhaltender, an verschiedenen Projekten.
Schon im Juli 2020, nur wenige Wochen nach Verkauf des Hauses in Halle, unterzeichnete der Leipziger Unternehmer Holger Grentzebach den Kaufvertrag für die Villa in Schkopau, in welcher sich anschließend mehrere Akteure aus Halle niederlassen sollten. Eigentümerin der Immobilie ist seitdem die Lindenthaler Verwaltungsgesellschaft mbH, welche sich im Besitz Grentzebachs befindet. Laut eigener Aussage handele es sich dabei ausschließlich um ein „Investment“, die politische Ausrichtung seiner Geschäftspartner habe angeblich keine Rolle gespielt.
Akteure und Netzwerke in Schkopau
Zur Umsetzung ihrer verschiedenen Aktivitäten verfügt die IB über ein ganzes Netzwerk aus Vereinen und Unternehmen, von denen heute fast alle direkt oder indirekt mit der Objekt in Schkopau in Verbindung stehen. Zentrale Akteure sind dabei die zuvor bei Kontrakultur Halle aktiven Philip Thaler (heute Deutschland-Chef der IB), Torsten Görke und Till-Lucas Wessels.
Mieterin ist nach Aussage von Holger Grentzebach die Schanze Eins UG & Co. KG. Diese ist ein Tochterunternehmen der von Daniel Sebbin geleiteten Okzident Media UG mit Sitz in Rostock. Gegründet wurde die offiziell von Görke geführte Schanze Eins explizit, um Finanziers für sog. „identitäre Strukturprojekte“ anzuwerben. Auf ihrer Webseite wirbt sie mit einem nie realisierten „Konservativen Zentrum Rostock“ und dem Castell Aurora in Linz (Österreich), einem öffentlichkeitswirksamen Projekt, das von dem ursprünglich aus Halle stammenden IBler Steve Henschke geleitet wird.
Der umtriebige Herr Kurth
Laut Medienberichten flossen kurz nach Kauf der Immobilie in Schkopau 50.000 € von dem ehemaligen Berliner CDU-Finanzsenator Peter Kurth an die Mieterin Schanze Eins.
Trotz seines öffentlichen Image als liberaler CDU-Mann bewegte sich Kurth als „alter Herr“ der Berliner Burschenschaft Gothia schon länger im Umfeld extrem rechter Akteure.
Bereits im Jahr 2019 gründete Kurth in Berlin, u.a. gemeinsam mit dem ehemaligen Kontrakultur-Chef Mario Müller, den Verein für Leibesübungen und Bildung e.V. 3, der mutmaßlich vor allem Kampfsporttrainings lokaler Neonazis organisierte4. Mittlerweile wurde der Verein wieder aufgelöst.
Zwischen 2019 und 2022 unterstütze er mehrere Immobilienprojekte der IB mit größeren Summen. Beim Kauf des Castell Aurora in Linz durch Steve Henschke sollen es 120.000 € gewesen sein5. Für das 2023 eröffnete Zentrum Chemnitz, welches von seiner geplanten Öffentlichkeitswirksamkeit dem ehemaligen Haus „Flamberg“ in Halle nahekommt, sollen rund 70.000 € an die von Philip Thaler und Vincenzo Richter geführte T&R Chemnitz Immobilien UG geflossen sein6.
Im Frühjahr 2023 stellte Kurth schließlich sogar einen Aufnahmeantrag beim Altherrenverband der Halle-Leobener Burschenschaft Germania, jener Hallenser Studentenverbindung, die als wichtigste lokale Brutstätte der IB gilt und der auch Philip Thaler und Torsten Görke angehören.
Leipziger Netzwerke
Gemeinsam mit Till-Lucas Wessels, welcher im Schkopauer Projekt mit seiner Partnerin Katharina Kraus lebt, ist Torsten Görke Anteilseigner der Grauzone Medien GmbH. Die Medienagentur, an der auch Holger Grentzebachs Lindenthaler Verwaltungsgesellschaft 30% der Gesellschaftsanteile hält, bewirbt im Internet unter dem Motto „Keine Zeit für Hässlichkeit“ ihre Leistungen in den Bereichen Webdesign, Werbedesign, Ghostwriting und Unternehmensprofile. Zeitgleich wurde ein weiteres Unternehmen gegründet, das bisher keine öffentlich sichtbaren Aktivitäten entfaltet: Die Neuland Medien GmbH.
Der Kontakt der IB-Leute zu Grentzebach entstand nicht durch Zufall: Dieser ist ein guter Geschäftspartner des Leipziger IT-Unternehmers Nicolas Schulmann. Bereits vor dem Kauf der Immobilie in Schkopau war Schulmann 2019 aufgefallen, weil er in Begleitung von Thaler und Wessels das Schloss Reinsberg in Sachsen als Kaufinteressent besichtigt hatte. In der Folge übte die Gemeinde ihr Vorkaufsrecht aus, um zu verhindern, dass das Haus in die Hände der IB fällt7. Letztlich konnte das rechte Netzwerk sich in einem zweiten Versuch das Schloss dennoch sichern: die Unternehmerin Mathilda Martina Huss aus Potsdam, in deren Hotel die als „Geheimtreffen“ bekannt gewordene Zusammenkunft zwischen Mitgliedern von AfD, CDU, IB und Neonazis stattfand, kaufte das Schloss schließlich im Sommer 20218. Heute lebt bereits Simon Kaupert, Leiter des identitären Filmkunstkollektivs und Mitarbeiter des österreichischen Verschwörungssenders AUF1, mit Familie im direkten Umfeld des Schlosses.
Auch 2020 in Schkopau war es dann zunächst wieder Nicolas Schulmann, der als Kaufinteressent auftrat. Erst kurz vor Vertragsunterzeichnung wurde sein Name gegen den von Grentzebach ausgetauscht – möglicherweise weil Gefahr bestand, dass auch hier die Gemeinde ein Vorkausfrecht ausüben könnte?
Auch Schulmann behauptet gegenüber Spiegel und MDR, sein Interesse an den Immobilien sei rein geschäftlicher Natur gewesen. Keine sehr glaubwürdige Argumentation, ist Schulmann doch seit Jahren auch ein wichtige Akteur für die kulturellen Aktivitäten der extremen Rechten in der Region.
Im Schloss Knauthain, dem Unternehmenssitz von Schulmanns FIO Systems AG, deren Aufsichtsrat Holger Grentzebach zeitweise angehörte, fanden mehrfach rechte Neofolk-Musikfestivals unter dem Namen Fire & Sun statt. Unter den auftretenden „Künstlern“ waren etwa der Hallenser Uwe Nolte und Tobias Sichhart alias Vriumot9.
Auch besuchte Schulmann Veranstaltungen des rechtsesoterischen Orphischen Kreis, etwa mit Nolte und dem Autor Carsten „Baal“ Müller. Ein Foto vom Fire&Sun-Festival 2017 im Schloss Knauthain zeigt Schulmann im Gespräch mit Nolte und Till-Lucas Wessels. Auch Schulmanns enger Mitarbeiter Michael Mücke bewegt sich seit Jahren in diesem Milieu, etwa bei einer Veranstaltung des Orphischen Kreis 2018 auf dem Hof der völkischen Neonazis Jens Beutel und Ivo Haltenorth, wo auch die IB-lerin Melanie Schmitz auftrat.
„Identitärer“ Kunsthandel
Im Bereich rechter Esoterik bewegt sich auch ein weiteres im Schkopauer Hausprojekt ansässiges Unternehmen: Die Französin Alexandra Caillaud-Branlant betreibt dort die offiziell in Wien angemeldete Mythopoetic GmbH. Eine Mischung aus Kunstdrucken und Esotherikseminaren, entweder in der norwegischen Hauptstadt Oslo oder auf der Videokonferenzplattform Zoom, bietet die studierte Architektin auf ihrer Online-Plattform feil.
„Die Kunstmanufaktur hat sich zum Ziel gesetzt, Künstler in ihrer Arbeit zu unterstützen und den Verkauf der Werke zu fördern. Kunstdrucke in limitierter Auflage, Poster und bereits fertig gerahmte Drucke mit mythischen und phantastischen Motiven bilden den Schwerpunkt der Manufaktur.“ So heißt es in einer Ankündigung der Messe LebensArt im Garten des Schlosshotel Schkopau im April 2023, auf der auch Caillaud einen Stand betreute. Bereits ein Jahr zuvor hatte die Halle-Leobener Burschenschaft Germania im Schlosshotel ihr 140. „Stiftungsfest“ ausgerichtet.
In der Selbstbeschreibung des Projekts ist eine ganze Reihe weiterer Vornamen genannt, die Teil des Projekts sein sollen. Einige davon dürften zu anderen Aktivisten der IB in Sachsen und Sachsen-Anhalt gehören.
Auch in anderen Teilen der Szene scheint das Projekt Anklang zu finden. Das neonazistische Thule-Seminar empfahl die Plattform im Jahr 2022 mit einem ausführlichen Portrait auf seiner Webseite. Der rechte Autor Wolf-Dieter Storl steuerte einen Beitrag im Mythopoetic-Blog bei.
Ex-Kader zwischen Professionalisierung und Rückzug ins Private
Während Philip Thaler, Torsten Görke und Till-Lucas Wessels für die IB in der Region Halle aktiv bleiben, zog es andere ehemalige Kontrakultur-Kader in verschiedene andere Regionen und Funktionen der Rechten.
Andreas Karsten etwa lebte zunächst in Hamburg, wohin ihn seine Halle-Leobener Burschenschaft Germania zur Unterstützung der von Personalmangel geplagten Hamburger Germania entsandt hatte. Heute ist er gleichzeitig Chefredakteur der Burschenschaftlichen Blätter der Deutschen Burschenschaft sowie des extrem rechten Magazins Zuerst!.
Der ehemalige Kontrakultur-Chef Mario Müller arbeitet heute, nach einer Zwischenstation beim Compact-Magazin, im Bundestag für den AfD-Abgeordneten Jan Wenzel Schmidt aus Wanzleben. Recherchen von Correctiv im Rahmen des Potsdamer „Geheimtreffens“ ergaben, dass Müller nach eigener Aussage in seiner Arbeitszeit vor allem mit der Bekämpfung vermeintlicher „Linksextremisten“ beschäftigt ist. So betreibe er etwa gemeinsam mit Dorian Schubert den X-(ehem. Twitter-)Account Dokumentation Linksextremismus. Im Sommer 2023 wurde Müller im Umland von Bremen bei einer Wanderung von Neonazis zu einer NS-Kultstätte gesichtet10.
Florian Müller hingegen hat einen etwas anderen Weg gewählt: 2021 zog er mit Partnerin Marie Müller und Kindern ins brandenburgischen Grabow, als Teil des völkischen Siedlungsprojekts Goldenes Grabow von Markus und Iris Krause. Neben seiner Tätigkeit als „Personal Trainer“ und „Ernährungsberater“ unter dem Namen „Bewusstsein und Physis“gab er ab 2022 Boxunterricht im nahen Wittstock.
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