Familie Nothdurft, die AfD und die extreme Rechte in Dessau-Roßlau

Die Alternative für Deutschland (AfD) ist eng mit dem neonazistischen Milieu verwoben. Beispiele dafür finden sich bundesweit massenhaft. Auch in Dessau-Roßlau ist der Schulterschluss der extremen Rechten längst vollzogen.
Ein Gastbeitrag des Offenen Antifa-Treffen Dessau
Dieser Text soll anhand des AfD-Politikers und langjährigen Neonazis Laurens Nothdurft (*1981) und einiger Personen in seinem Umfeld einen groben Überblick über die hiesigen Zustände geben.
Seit den Kommunalwahlen am 09. Juni 2024, bei denen die AfD in Dessau-Roßlau mit gut 25 Prozent stärkste Kraft wurde, sitzt Laurens Nothdurft für die extrem rechte Partei im Stadtrat Dessau-Roßlau und ist ihr Fraktionsgeschäftsführer. Zudem zog er über die Bürgerliste Roßlau in den dortigen Ortschaftsrat ein. Die Bürgerliste Roßlau als stärkste Fraktion stellte Nothdurft für die Wahl des Ortsbürgermeisters auf. Mit 6 zu 3 Stimmen setzte sich der Rechtsanwalt gegen den früheren Dessau-Roßlauer Oberbürgermeister Klemens Koschig (Neues Forum) durch1. Von der Aufstellung ließ sich die Bürgerliste Roßlau um Jörn von der Heydt (2019 noch CDU-Kandidat) auch durch Presseberichte über die Neonazikarriere des Kandidaten nicht abbringen2.
Zur Person Laurens Nothdurft
Laurens Nothdurft ist seit den 1990er Jahren für extrem rechte und neonazistische Organisationen aktiv.
Öffentlich trat er in Dessau erstmals 1999 in Erscheinung, als er wie sein Vater Joachim für die Deutsche Soziale Union (DSU) zur Stadtratswahl antrat. Die DSU war Anfang 1990 als Zusammenschluss diverser rechtskonservativer Parteien der Noch-DDR gegründet worden und stellte sich zunächst als Ost-Pendant der CSU dar. Bei den Volkskammerwahlen 1990 trat sie gemeinsam mit der CDU und dem Demokratischen Aufbruch (DA) als Allianz für Deutschland an. Ein Treppenwitz der Geschichte, dass dieses Bündnis mit „AfD“ abgekürzt werden könnte. Die DSU entwickelte sich innerhalb weniger Monate so weit nach rechtsaussen, dass einige ihrer frisch gewählten Abgeordneten und Minister zur CDU wechselten. Die Rechtsentwicklung der DSU ging in den Folgejahren weiter.
Laurens Nothdurft wurde 1999 von der Mitteldeutschen Zeitung (MZ) für einen Artikel über „die jüngsten Kandidaten“ befragt. Er habe sich „bei sämtlichen Gruppierungen umgehört, ehe er letztlich seinen festen Platz bei der DSU gefunden hat“ und „zwar keine Ahnung von Details, sagt er, es gehe ihm eher um ein ganzheitliches Denken. Weg von der ausschließlichen Betreuung von Minderheiten, hin zum Schutz der anständigen Jugendlichen“3. „Sämtliche Gruppierungen“ bezog sich wohl vor allem auf die elitäre Neonaziorganisation Die Heimattreue Jugend 1990 – Bund zum Schutz für Umwelt, Mitwelt und Heimat e.V. (DHJ), zu deren bundesweiten Kadern er zum Zeitpunkt der Wahl schon mehrere Jahre gehörte.
Was war Die Heimattreue Jugend?
Die DHJ ging 1990 aus einer Abspaltung vom Bund Heimattreuer Jugend (BHJ) – Der Freibund e.V. hervor. Den DHJ-Protagonist*innen war der BHJ nicht radikal genug. Im Jahr 2000 wurde der Verein in „Heimattreue Deutsche Jugend – Bund zum Schutz für Umwelt, Mitwelt und Heimat e.V.“ (HDJ) umbenannt.
Nachdem fachkundige Journalist*innen und antifaschistische Initiativen viele Jahre auf die Gefährlichkeit der HDJ hingewiesen und immer wieder deren Aktivitäten öffentlich gemacht hatten, wurde der Verein 2009 wegen Verbreitung von rassistischem und nationalsozialistischem Gedankengut verboten. Im Jahr darauf wurde das Verbot durch das Bundesverwaltungsgericht bestätigt.
In der Verbotsverfügung warf das Bundesinnenministerium dem Verein vor, eine „dem Nationalsozialismus wesensverwandte Ideologie“ zu verfolgen. Die HDJ habe Sprachgebrauch, Liedgut und Symbolik von NS-Organisationen wie der Hitlerjugend übernommen und Kinder und Jugendliche in deren Geist indoktriniert. Die HDJ weise klare Parallelen zur „Hitler-Jugend“ (HJ) auf und sei zumindest personell mit der 1994 verbotenen „Wiking-Jugend“ (WJ) verbunden. Sie wurde daher als deren Nachfolgeorganisation gewertet. Zur Zeit des Verbotes verfügte sie über mehrere hundert Mitglieder und war fester Bestandteil der neonazistischen Szene.

Laut ihrer Satzung verfolgte die HDJ die „Förderung der geistigen, charakterlichen und körperlichen Entwicklung der männlichen und weiblichen Jugend, des Jugendsports und der Jugendbildung“, etwa um „die Jugend zu dem Nächsten hilfreichen, der Heimat und dem Vaterland treuen […] Staatsbürgern heranzubilden“. Praktisch umfassten ihre Aktivitäten unter anderem Zeltlager für Kinder und Jugendliche, die dort nach nationalsozialistischen Idealen geschult und militärisch gedrillt wurden. Das Bundesinnenministerium (BMI) sah darin eine „ideologische Einflussnahme auf Kinder und Jugendliche durch Verbreitung völkischer, rassistischer, nationalistischer und nationalsozialistischer Ansichten im Rahmen vorgeblich unpolitischer Freizeitangebote.“ Auch Geschichtsrevisionismus (Der 2. Weltkrieg wäre Hitler aufgezwungen worden.) und Antisemitismus (Holocaustleugnung) bei der HDJ stellte das BMI ausführlich dar.
Internen Unterlagen zufolge sei das Ziel der HDJ „der Aufbau nationalpolitischer Kaderguppen, die nach dem Führerprinzip geleitet werden“. „Offenkundiges Ziel“ der HDJ sei laut BMI „die Heranbildung einer neonazistischen Elite.“ Diese „Elite“ gilt es aus Sicht der HDJ natürlich, fest in die Szene einzubinden. Die Fachjournalistin Andrea Röpke zitiert zum Lebensbundprinzip aus einer HDJ-Website: „‚Manche Ehepaare sind schon als Kinder gemeinsam auf Fahrt und Zeltlager gefahren. Eltern, die früher selbst einmal bei uns gewesen sind, schicken heute ihre Kinder auf unsere Lager. So wuchs und wächst die volkstreue Familie in Deutschland seit Generationen‘, wirbt die HDJ im Internet auf ihrer Seite unter dem Titel ‚Wir tun was! Schicken Sie Ihre Kinder zu uns!‘“4
Zurück zu Nothdurft
Im November 1996 wurde Laurens Nothdurft zum Beauftragten für die sogenannte Abteilung Beschaffung, im April 1999 zum „2. Bundesführer“ der DHJ gewählt. Nach dem Unfalltod des bisherigen Amtsträgers Alexander Ansgar Scholz am im Februar 2002 übernahm Nothdurft die Funktion des „Bundesführers“ der (mittlerweile) HDJ kommissarisch. Ab der Neuwahl des Vorstandes am 03.10.2002 war er wieder „2. Bundesführer“. Der NPD-Landesverband Sachsen-Anhalt druckte in seiner Zeitung NPD-Echo einen Nachruf auf Scholz.
Wohl aus Rücksicht auf sein Jurastudium legte er 2007 seine Ämter nieder. Im letzten Quartal des Jahres jedenfalls kam er im Rahmen seines Referendariats kurzzeitig nach Sachsen-Anhalt zurück, um im Wirtschaftsministerium des Landes zu arbeiten. Ob seine Neonazi-Bezüge dort damals bekannt gewesen wären, konnte das Ministerium 2024 nicht mehr beantworten. Eine Sicherheitsüberprüfung habe es aber nicht gegeben5. Offenbar hatte das selbsternannte „Frühwarnsystem“ Verfassungsschutz keinen Handlungsbedarf gesehen.
Schon Ende November 2000 fiel Jura-Student Nothdurft an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder auf. Damals fand ein „Spiegel-Forum“ zum Thema „Was tun wir gegen Fremdenhass?“ u.a. mit dem damaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse (SPD) statt. Der Spiegel beschrieb die Szenerie so:
„Der Auftritt der rechten Szene während des SPIEGEL-Forums kam unvermittelt. Sechs Neonazis brüllten plötzlich deutschnationale Parolen und warfen NPD-Werbezettel in den Saal. Die Frankfurter Polizei beendete den Zwischenfall rasch, indem sie die Schreihälse aus dem Saal drängte und festnahm. Ein offenbar sympathisierender Student meldete sich daraufhin zu Wort und nannte Podiumsteilnehmer Thierse einen ‚geistigen Brandstifter’“6.
Der erwähnte Student war Laurens Nothdurft. Zu den sechs brüllenden Neonazis gehörte Jörg Hähnel (*1975), damals Stadtverordneter der NPD und viele Jahre im Bundesvorstand der Partei. Mit Neonazi-Liedermacher Hähnel, seit den 1990er Jahren auch als Anti-Antifa-Aktivist aktiv7, dürfte Nothdurft auch schon vor seinem Studium bekannt gewesen sein. Auch er war HDJ-Mitglied. Und Nothdurft war zeitweise umgekehrt Aktivist der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD, heute Die Heimat)8.

Im Jahr 2003 verlieh die HDJ-Bundesführung eine Ehrenmitgliedschaft an Lisbeth Grolitsch (*1922), die als ehemalige hohe Funktionärin des Bundes Deutscher Mädel (BDM) der Nazizeit und nach 1945 Mitbegründerin diverser Neonaziorganisationen – darunter auch des HDJ-Vorläufers Wiking-Jugend – sie in der Szene verehrt wurde. Überreicht wurde ihr die „Ehrung“ offenbar durch Laurens Nothdurft. Für ihn dürfte zusätzlich von Bedeutung gewesen sein, dass die Nazi-Ikone Grolitsch in Dessau geboren wurde. In einem Beitrag über die Ehrung fordert ein „Laurens“ die Leser*innen auf, „in Schule, Ausbildung, Studium und Beruf mit Ehrgeiz und Ausdauer entscheidende Positionen zu besetzen.“9 Ein Vorsatz, den Laurens Nothdurft offenbar verinnerlicht hat.

Seit 2017 ist Nothdurft AfD-Mitglied. Eigentlich hätte er laut „Unvereinbarkeitsliste“10 der Partei nicht als Mitglied angenommen werden dürfen. Auf der Liste von Organisationen, deren ehemalige und aktuelle Mitglieder angeblich nicht in die AfD aufgenommen werden sollen, steht auch die HDJ. Der brandenburgische Fraktions- und Parteivorsitzende Andreas Kalbitz (*1972) wurde 2019 nicht nur seiner Ämter enthoben, sondern auch aus der Partei ausgeschlossen, weil er bei seinem Eintritt eine Mitgliedschaft bei der HDJ verheimlicht habe11. Nur wegen einer Änderung der Geschäftsordnung durch seine Fraktion konnte er bis zum Ende der Legislatur als Parteiloser Fraktionsmitglied bleiben12. Da er bei den Folgewahlen 2024 jedoch – auch aufgrund interner Machtkämpfe – nicht wieder aufgestellt wurde, gilt seine politische Karriere als vorerst beendet13. Aus der Szene zurückgezogen hat er sich allerdings nicht14.
Solche Formalitäten sind der AfD selbst offenbar zunehmend ein Dorn im Auge, dienten sie der Partei in früheren Jahren doch weniger der internen Kontrolle als vielmehr der öffentlichen Darstellung, in der sie bis heute immer wieder eine Abgrenzung zu Neonazis behauptet. Wenige Wochen vor Nothdurfts Wahl erklärte ein Sprecher gegenüber der MZ folgerichtig, dass es Ausnahmen von der aus Mitgliedschaften folgenden Unvereinbarkeit mit einer AfD-Mitgliedschaft geben könne. Über diese Ausnahmen müssten die Landesverbände entscheiden15.
Rückblick: Ingmar Knop
Ähnlich war das beim Landtagsspitzenkandidaten 2006 und letzten stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Deutschen Volksunion (DVU) vor der Fusion mit der NPD, Ingmar Knop (*1975). Knop, ebenfalls Dessauer Rechtsanwalt, war Angestellter der NPD-Landtagsfraktion Sachsen. Als die Neonazipartei 2014 (mit 4,99 Prozent äußerst knapp) aus dem Landtag flog, und Knop dadurch seinen Job verlor, entschied er sich offenbar mangels Perspektive, über die Presse seinen „Ausstieg“ zu inszenieren. Eine wesentliche Bedingung für die Glaubwürdigkeit dieses Ausstiegs erfüllte er nicht: er hat gegenüber der Öffentlichkeit nie wirklich sein Wissen ausgepackt. Stattdessen wird er in einem Interview mit einer Beschwerde zitiert: „Als die Dessauer Antifa seine Chefs über Knops Umtriebe informierte, warfen die ihn sofort hinaus.“16 Dem Landkreis Anhalt-Bitterfeld war Knops Neonazikarriere egal. Er machte ihn im Juni 2016 zum Chef der B&A Strukturförderungsgesellschaft, einer mittlerweile aufgelösten, kreiseigenen Beschäftigungsgesellschaft17.
Laurens Nothdurft als AfD-Mitarbeiter
Ab Juni 2017 war Nothdurft bei der AfD-Landtagsfraktion Baden-Württemberg als Referent für den parlamentarischen Untersuchungsausschuss „Abläufe in Zusammenhang mit der Beteiligung des Landes an der Weltausstellung 2020 (UsA Baden-Württemberg-Haus)“ angestellt. Seine HDJ-Vergangenheit war dem damaligen Fraktionschef und Bundesvorsitzenden Jörg Meuthen einem Fraktionssprecher zufolge bekannt. Jenem Meuthen, der bis zu seinem AfD-Austritt auch von den meisten Medien dem „gemäßigten Flügel“ der AfD zugerechnet wurde. Zum April 2019 wechselte Nothdurft auf eine Stelle als Referent für den Haushaltsausschuss zur bayerischen AfD-Fraktion18. Nach Medienberichten zu seiner HDJ-Vergangenheit wurde die Anstellung wieder aufgelöst19 – damals hatte sich zumindest die AfD Bayern offenbar noch nicht weit genug radikalisiert – und er ging zurück nach Stuttgart.

Wenig später wurde Nothdurft vom damaligen Landtagsabgeordneten Jan Wenzel Schmidt (*1991) mit einer Stelle in dessen Wahlkreisbüro versorgt. Dort arbeitete mit Stefan Träger (*1988) schon seit Jahren ein früherer NPD-Bundestagskandidat und Aktivist der NPD-Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten, der parallel zu seinem öffentlich bekannten20 AfD-Job CDU-Mitglied werden konnte. Vorsitzender von Trägers CDU-Kreisverband war ausgerechnet Innenminister Holger Stahlknecht21. Anfang 2021 wechselte Nothdurft schließlich als persönlicher Referent des Fraktionsgeschäftsführers zur AfD-Landtagsfraktion nach Magdeburg. Im Jahr darauf kam mit Eric Kaden (*1976) ein weiteres ehemaliges HDJ-Mitglied als Referent der Fraktion für Bildung, Kultur und Wissenschaft hinzu. Kaden hat als früherer Mitarbeiter der NPD-Landtagsfraktion Mecklenburg-Vorpommern entsprechende Erfahrungen22. Sein Name findet sich in der Neonaziszene an vielen Stellen. So gehörte er zeitweise zum Vorstand des kürzlich gelöschten Freundeskreis Ulrich von Hutten e.V., dessen Vorsitzende Lisbeth Grolitsch war. Der Freundeskreis gab viele Jahre die Zeitschrift „Huttenbriefe – für Volkstum, Kultur, Wahrheit und Recht“ heraus, zu deren Autor*innen wiederum Laurens Nothdurft zählte.
Aktivitäten als Anwalt / COMPACT Verfahren

Laurens Nothdurft ist auch als einschlägiger Szene-Anwalt bekannt. So vertrat er den Burschenschafter Florian André Held vor Gericht, der im Januar 2025 wegen Verwendung der Parole „Heil Hitler!“ und dem Zeigen des Hitlergrußes zu einer Geldstrafe verurteilt wurde23. Zuletzt wurde bekannt, dass Nothdurft auch den als exzessiv brüllenden Teilnehmer diverser AfD-Wahlpartys bekannt gewordenen Steven Hellmuth in einem Verfahren wegen versuchter Körperverletzung vertreten hat24. Hellmuth, ehemals Mitglied der Jusos, war Landesvorstandsmitglied der mittlerweile aufgelösten Jungen Alternative (JA) und Mitarbeiter verschiedener AfD-Landtags- und Bundestagsabgeordneter, darunter der jetzige Bürgermeister von Raguhn-Jeßnitz, Hannes Loth.

Auch die ultra-rechte Compact-Magazin GmbH wird im Verfahren um das – bis zur Entscheidung im Hauptverfahren ausgesetzte – Verbot von Nothdurft vertreten25. Compact-Herausgeber Jürgen Elsässer selbst bejubelte Nothdurfts Leistung in Bezug auf die Aussetzung in der Compact Ausgabe 9/2024. Er sei „der Held, der Faeser, das BMI und eine riesige Anwaltskanzlei – angeblich 150 Juristen – praktisch im Alleingang besiegt hat“.26 Nothdurft hat sich also nicht nur politisch etabliert, sondern genießt szeneintern teilweise Heldenstatus. Auf Fotos von einem Pressetermin der Compact zum Verfahren ist auch der älteste Sohn der Eheleute Nothdurft zu sehen, was als Hinweis gesehen werden kann, dass auch die nächste Generation der Nothdurfts ideologisch erzogen und somit an die Szene gebunden wird.
Anlässlich seiner Kandidatur 2024 hatte die „Bürgerliste Roßlau“ auf Facebook einen Text Nothdurfts geteilt, in dem er sich als konservativen Juristen vorstellt. Trotz seines ordentlichen Lebenslaufs hätte er doch so „einiges erlebt. Sei es in der Jugendarbeit, auf Reisen von den Pyrenäen bis zu den Dünen des Baltikums, am Lagerfeuer in die Saiten der Gitarre greifend oder nach der Feldarbeit beim Bauern im Stroh. In der Bundeswehr als Fallschirmjäger.“27 Jugendarbeit und Gitarrespielen am Lagerfeuer können wohl als direkte Anspielung auf die HDJ gelesen werden. Auch Reisen, Feldarbeit und Militärdienst passen gut zum ideologischen Hintergrund. Nur der Name der Armee stört vielleicht die historischen Assoziationen. Die Bewerbungsschrift endet schließlich mit „Alles für unsere Heimat!“ – offensichtlich in Anlehnung an die illegale SA-Parole „Alles für Deutschland!“, für deren Verwendung Björn Höcke in dieser Zeit zum wiederholten Mal verurteilt wurde28.

Auch bei der offiziellen Gedenkveranstaltung der Ortschaft Roßlau zum 80. Jahrestag des Sieges der Alliierten gegen das nazistische Deutschland am 8. Mai nahm Nothdurft nach Recherchen des Projekts Gegenpart Bezug auf den Nationalsozialismus. Am Ende seiner Gedenkrede auf dem sowjetischen Ehrenfriedhof (!) zitierte er29 aus einem Gedicht von Rudolf Georg Binding, der zu den 88 Schriftsteller*innen und Dichter*innen gehörte, die 1933 ein „Gelöbnis treuester Gefolgschaft“ gegenüber Adolf Hitler ablegten30. Vorher zählte Nothdurft fast ausschließlich deutsche „Opfer“ des Krieges auf: Soldaten, Opfer alliierter Bombardierungen, Opfer von Flucht- und Vertreibung. Kein Wort davon, dass das Deutsche Reich den Krieg begonnen und halb Europa in Schutt und Asche gelegt hatte. Konsequent legte er nach dem sowjetischen Ehrenfriedhof auch auf dem benachbarten deutschen Soldatenfriedhof einen Kranz des Ortschaftsrates nieder31.

Während der Stadtratssitzung am 30. April beschwerte sich Vater Joachim Nothdurft ganz ähnlich darüber, dass ein Beitrag von ihm zum Jahrestag nicht im Amtsblatt erschienen war. Auch er verlor kein Wort über diejenigen, die den 8. Mai damals als Befreiung wahrnahmen: Jüdinnen*Juden, Sinti und Roma, Menschen mit „Behinderung“ und politische Gegner*innen des Nationalsozialismus. Stattdessen erklärte er, der 8. Mai 1945 sei „auch in keinem Fall ein Tag der Befreiung. Millionen Soldaten haben jahrelang gekämpft, um genau das nicht erleben zu müssen. Mein Vater war auch dabei, Millionen Soldaten, unsere Soldaten, sind gefallen.“ Deutlicher konnte er kaum sagen, dass er sich mit der Wehrmacht und der Verteidigung des nationalsozialistischen Deutschlands solidarisiert, statt sich über ihre Niederlage zu freuen.
Die Familie Nothdurft
Bei einer strammen NS-Organisation wie der HDJ, die großen Wert auf die Einbindung ganzer Familien legt, verwundert es nicht, dass häufig szeneintern geheiratet wird. So auch im Fall Nothdurft.
Hildegard Nothdurft

Laurens ist mit Hildegard Nothdurft, geb. Handke (*1977) verheiratet. Gemeinsam haben sie sieben Kinder. Die jüngste Tochter (*2021) bekam im Alter von eineinhalb Jahren – wie üblich beim siebenten Kind – eine Ehrenpatenschaft des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier. Die feierliche Übergabe im Dessauer Rathaus nahm Oberbürgermeister Dr. Robert Reck vor32. Auch Hildegard Nothdurft kann auf eine HDJ-Karriere zurückblicken. Im April 1999 wurde sie vom „Bundesjugendtag“ des Verbands zur „Bundesmädelführerin“ gewählt. Insgesamt gehörte Nothdurfts Ehefrau bis 2007 der „Bundesführung“ der später als verfassungsfeindlich eingestuften Organisation an. Interne HDJ-Fotos zeigen Laurens und Hildegard Nothdurft mit Kleinkindern bei einem großen HDJ-Treffen oder beim „Pfingstlager“ 2006 beim Volkstanz.

Günter Handke
Vor wenigen Monaten wurde bekannt, dass auch Hildegards Bruder Günter Handke (*1976) eng mit den personellen Strukturen der früheren HDJ verbunden gewesen sein soll33. Besonders brisant ist seine berufliche Situation. Handke ist seit vielen Jahren, so auch schon zu Zeiten des Verbotsverfahrens gegen die Organisation von Schwester und Schwager, Staatsanwalt in Potsdam. Eine direkte Verbindung konnte ihm bislang nicht nachgewiesen werden. Seit 2023 ist Handke sogar Oberstaatsanwalt bei der Generalstaatsanwaltschaft Brandenburg34.
Dabei führten Spuren der Ermittlungen gegen die HDJ früh zur Familie Handke/Nothdurft, denn schon bei einer Großrazzia gegen die HDJ 2008 gehörte die damalige Wohnung von Laurens und Hildegard Nothdurft in Berlin-Zehlendorf zu den allein in Berlin 15 durchsuchten Objekten. Daneben wurden u.a. die Meldeanschriften von Jörg Hähnel in der NPD-Bundeszentrale und Eric Kaden durchsucht35. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war ein Verbot zu erwarten. Noch hatten die HDJ-Kader aber einige Monate Zeit, sich darauf vorzubereiten.
Der heutige Oberstaatsanwalt Günter Handke war zwar nach heutigem Wissensstand kein HDJ-Aktivist, aber seit mindestens 1993 Mitglied der Ersten Berliner Schülerverbindung Iuvenis Gothia, einer Nachwuchsorganisation der extrem rechten Burschenschaft Gothia. Unter den Mitgliedern der Gothia und bei mit ihr verbundenen Vereinen finden sich diverse Personen, die an anderer Stelle offen extrem rechts auftreten. Darunter sind auch verschiedene AfD-Funktionäre wie Joel Bußmann (*1993), mittlerweile Mitarbeiter der AfD-Landtagsfraktion Sachsen-Anhalt. Im Verbindungshaus der Gothia in Berlin-Zehlendorf finden immer wieder auch einschlägige Veranstaltungen statt, etwa Treffen der damaligen Jungen Alternative (JA).
Ende Januar diesen Jahres nun rückten die Familien Handke/Nothdurft ungewollt in den Blick der Öffentlichkeit. Berliner Beamt*innen von Staatsanwaltschaft, Staatsschutz und der für Delikte am Menschen zuständigen LKA-Abteilung durchsuchten Handkes Büro in Brandenburg/Havel und die Wohnhäuser Handkes und seiner Eltern in Berlin-Zehlendorf36. Unter letzterer Wohnadresse ist auch die Berliner Kanzlei von Laurens Nothdurft zu finden37.

RBB-Magazin Kontraste: „Lebt die „Heimattreue Deutsche Jugend“ weiter?“ vom 20.02.2025.
Der aktuelle Vorwurf gegen Günter Handke: Er soll eine Nachfolgeorganisation der HDJ möglicherweise trotz Verbots unterstützt haben. Die angebliche Begeisterung für die NS-Erziehungsorganisation soll den Behörden durch Aussagen von Handkes frisch getrennter Noch-Ehefrau – wie ihre Schwägerin mit Vergangenheit im HDJ-Milieu – bekannt geworden sein. Sie hatte den hochrangigen Juristen wegen Bedrohung und Misshandlung angezeigt und damit die Ermittlungen in Gang gesetzt.
Handke soll konkret in Verbindung zur neuen Organisation namens Jungadler stehen – wie eng genau, ist bisher nicht klar. Journalist*innen liegen diverse interne Unterlagen aus den vergangenen 7 Jahren vor, die brisante Parallelen zur verbotenen HDJ aufweisen. Der Jungadler könnte somit als Nachfolgeorganisation der HDJ gewertet werden und wäre der HDJ-Verbotsverfügung von 2009 zufolge automatisch auch verboten38. Es ist nur schwer vorstellbar, dass den Behörden die Verstrickung Handkes ins HDJ-Milieu über so viele Jahre entgangen sein soll.

Der Name Jungadler erinnert an den NS-Propagandafilm „Junge Adler“ von 1944. Schon kurz nach dem 2. Weltkrieg wurde eine Jugendorganisation Junge Adler gegründet, deren bekanntester „Bundesführer“ Rolf Kosiek (*1934) Ende 1960 Jahre für die NPD im Landtag Baden-Württemberg saß. Und 1950 wiederum wurde von einem früheren Hitler-Jugend-Kader der Jugendbund Adler gegründet, der bis in die 1970er Jahre im extrem rechten Milieu aktiv war.
Felix Willer
Und die belasteten Familienbande reichen noch weiter, denn nicht nur Laurens und Hildegard waren Mitglieder und Funktionär*innen der HDJ. Mit Felix Nothdurft (*1984) – nach seiner Hochzeit mittlerweile Felix Willer – wurde ein jüngerer Bruder Nothdurfts im April 2003 zum Leiter der neugebildeten „Abteilung HALT“ ernannt. Im Jahr darauf wurde er vom „Bundesjugendtag“ in diesem Amt bestätigt. „HALT“ stand für „Heimattreue Ausrüstung und LagerTechnik“ und führte die Abteilungen „Beschaffung“ und „Technischer Dienst“ zusammen. Parallel zum Beginn seiner zweijährigen Offiziersausbildung bei der Bundeswehr Mitte 2004 beendete er seine HDJ-Mitgliedschaft.

Auch Willer verdient mittlerweile sein Geld bei der AfD. Ab 2015 war er bei der Landtagsfraktion Brandenburg unter Andreas Kalbitz für den Bereich Verkehrspolitik angestellt. Nach einer kurzen Anstellung im Bundestagsbüro des damaligen Fraktionschefs Alexander Gauland (*1941) bekam er eine Stelle beim Landesamt für Verbraucherschutz Sachsen-Anhalt. 2021 kam er zurück zur AfD-Fraktion Brandenburg – als Referent für den Untersuchungsausschuss zur Corona-Politik der Landesregierung. Seit Anfang 2024 ist er nun Referent für „Bundes- und Europaangelegenheiten, Medien sowie Kultur“ der AfD-Fraktion Sachsen-Anhalt39.
Joachim Nothdurft
Wie oben geschrieben, war Joachim Nothdurft (*1949) lange Jahre Funktionär der DSU. Ab 1994 findet sich sein Name als Landesvize, ab 1995 bis in die 2000er Jahre als Landesvorsitzender und seit vielen Jahren auch im Bundesvorstand, einige Zeit als stellvertretender Bundesvorsitzender. Noch heute listet ihn die Bundeswahlleiterin als 1. Schriftführer des Bundesvorstandes40. Ob die Partei real überhaupt noch existiert, ist unklar. Ihr letzter Wahlantritt auf Landes- oder Bundesebene war 2019 bei den Landtagswahlen in Sachsen. Nach Parteiengesetz wird sie daher im Herbst den Status einer Partei verlieren, da hierfür alle sechs Jahre ein solcher Antritt erfolgen muss. Auch kommunal gab es zuletzt 2019 vereinzelte Wahlantritte.

Joachim Nothdurft kandidierte 1990 bis 2007 bei allen Stadtratswahlen in Dessau(-Roßlau) auf DSU-Listen. Ein Mandat erreichte er nur 1999 für den Ortschaftsrat Kochstedt. Auch bei anderen Wahlen trat er für die DSU an: 1990 und 1994 für Land- und Bundestag, 2006 auf der gemeinsame Liste von Offensive D, STATT Partei und DSU (Bündnis Offensive für Sachsen-Anhalt) für den Landtag. Die geplante gemeinsame Liste von DSU, Republikanern (REP) und der REP-Abspaltung Demokratische Erneuerung (DE) mit dem Namen „Arbeit für Sachsen-Anhalt“, die er maßgeblich mit organisiert hatte, wurde 1998 nicht zugelassen. Die schließlich allein antretenden REP gaben als Kontaktadresse die der DSU-Landesgeschäftsstelle in Dessau an. DSU-Landesgeschäftsführer war damals Rudolf Dießner (*1949 †2021) aus Zerbst, der später auch AfD-Mitglied wurde. Die Nähe zwischen der regionalen DSU und den REP zeigte sich auch bei verschiedenen Auftritten Joachim Nothdurfts als Gastredner bei REP-Landes- und Bundesparteitagen. Seit 2024 sitzt Joachim Nothdurft nun als stellvertretender AfD-Fraktionsvorsitzender im Stadtrat.

Im Juni 1996 fand in Dessau eine von der DSU organisierte Podiumsdiskussion statt. Angekündigt waren neben dem früheren Bundestagsabgeordneten der Grünen und seit Mitte der 1980er Jahre immer weiter nach rechts gewanderten Alfred Mechtersheimer (*1939 † 2018) und der zweiköpfigen DSU-Stadtratsfraktion u.a. der frühere Regierungspräsident des Regierungsbezirks Dessau, Dr. Gert Hoffmann (*1946, CDU, in den 1960er Jahren Nationaldemokratischer Hochschulbund der NPD) und Andreas Mrosek (*1958, damals noch Bund der Selbstständigen, später AfD-MdL, -MdB und noch heute -Stadtrat).
Im Jahr 2000 rief Mechtersheimer mit seiner 1995 gegründeten Deutschland-Bewegung die Deutsche Aufbau-Organisation (DAO) ins Leben, die das rechte Lager in einer Partei sammeln sollte. Zum Sprecherrat der DAO gehörten neben anderen auch Joachim Nothdurft und die damalige Landtagsabgeordnete und Bundesvorsitzende der DVU-Abspaltung Freiheitliche Deutschen Volkspartei (FDVP) Claudia Wiechmann (*1955) aus Oranienbaum41.

Im Jahr 1996 fand im Hotel „Burghof“ am Kyffhäuser – offenbar anlässlich des Jahrestages der Wiedervereinigung – eine Veranstaltung der „Initiative 3. Oktober“ statt. Der Kyffhäuser ist – nicht zuletzt wegen seiner Bedeutung für den Nationalmythos Barbarossa – seit jeher Anziehungspunkt für Rechte aller Couleur. Auch die “Kyffhäuser-Treffen“ des formal aufgelösten „Flügels“ der AfD stehen in dieser Tradition. Zu den Rednern und Gästen des Treffens 1996 nun zählten etliche prominente Vertreter*innen der extremen Rechten, teilweise mit einschlägiger Vergangenheit in verbotenen Organisationen wie der Wiking-Jugend oder der Freiheitlichen Arbeiterpartei (FAP). Mit dabei waren Joachim Nothdurft und Rudolf Dießner. Auch vor Ort: der Thüringer Heimatschutz (THS) mit Tino Brandt, André Kapke und der späteren NSU-Terroristin Beate Zschäpe (alle *1975)42.

Auch direkte Kontakte zu Neonaziorganisationen scheut Joachim Nothdurft nicht. Am 1. Mai 2002 nahm er mit Sohn Laurens an einem NPD-Aufmarsch in Berlin teil43. Im Landtagswahlkampf 2011 unterstützte er die NPD. Für die AfD fiel er erstmals als Teilnehmer einer Demonstration in Berlin im Rahmen der „Herbstoffensive 2015“ auf.
Schließlich war auch Joachim Nothdurft mit der HDJ verbunden. So war die Website der Organisation zeitweise auf ihn angemeldet44. Und in der Satzung des DHJ e.V. war geregelt, dass das Vermögen des Vereins „bei Aufhebung oder Auflösung des Vereins oder bei Wegfall des bisherigen Zweckes“ an den „Schulverein zur Förderung der Rußlanddeutschen in Ostpreußen e.V.“ fallen würde. Joachim Nothdurft gehört aktuell ebenso zum Vorstand dieses Vereins wie Gerlind Munier, geb. Mörig (*1969). Munier, Ehefrau des Herausgebers des extrem rechten Magazins ZUERST!, Dietmar Munier, ist die Schwester von Gernot Mörig, dem Gastgeber des von Correctiv aufgedeckten Treffens im Herbst 2023 bei Potsdam, durch das der rassistische Begriff der „Remigration“ allgemein bekannt wurde45.

Nicht nur Laurens Nothdurft selbst, sondern auch zumindest Teile seiner Familie sind somit fest im neonazistischen Milieu verankert. Und ebenso wie er, sind sie in der AfD aktiv.
Patrick Harr

Vor Felix Nothdurft gab die HDJ einen Patrick H. mit Postfach in Roßlau als Kontakt der „Abteilung Beschaffung“ an. Dahinter stand Patrick Harr (*1982) aus Roßlau, der das entsprechende Vorstandsamt ab 2002 innehatte. Harr kam 2017 als persönlicher Referent des damaligen Fraktionschefs André Poggenburg zur AfD-Landtagsfraktion und blieb auch unter dessen Nachfolger Oliver Kirchner in dieser Position. Im November 2023 gehörte Harr zu den Teilnehmer*innen des genannten Treffens bei Potsdam46. Mittlerweile ist er AfD-Fraktionsgeschäftsführer im Landtag.
Andere Akteure in der Region
Im Roßlauer Ortschaftsrat sitzt neben Laurens Nothdurft für Die Heimat (ex-NPD) seit 2019 auch Marcel Kerner (*1987)47. In Gohrau, einem Ortsteil der Stadt Oranienbaum-Wörlitz, wurde bei den Kommunalwahlen 2024 Benjamin Focke (*1988) für Die Heimat ohne Gegenkandidat*innen zum Ortsvorsteher gewählt48, nachdem er den Posten vorher schon kommissarisch wahrnahm. Ein paar Monate später ernannte der Stadtrat seine Frau Jenny Focke (*1985) einstimmig (!) zu seiner Stellvertreterin.
Schon einmal gab es in Roßlau eine Bürgerliste. Im April 1999 gründete sich die Bürgerliste Anhalt-Zerbst, die bei den Wahlen zum damaligen Kreistag Anhalt-Zerbst und zum Stadtrat des damals noch selbständigen Roßlau antrat. Vorsitzender der Liste war Gerhard Seibt (*1947), der 1994 erstmals in den Stadtrat Roßlau einzog – für die DSU, für die er auch bei der Bundestags- und der Roßlauer Bürgermeisterwahl 1994 und bei der Bürgermeisterwahl 1996 im nahegelegenen Leitzkau antrat. Zu dieser Zeit saß er auch im DSU-Landesvorstand um den Landesvorsitzenden Joachim Nothdurft, trat aber im Laufe der Wahlperiode aus der Partei aus.
Wie Joachim Nothdurft taucht auch Seibt im Umfeld von Alfred Mechtersheimer auf. Als im Jahr 1996 das Bündnis Deutschland (nicht zu verwechseln mit der erst 2022 gegründeten Partei, die bei den Bundestagswahlen 2025 antrat) als „politisch-parlamentarischer Arm“ der Deutschland-Bewegung von Alfred Mechtersheimer49 gegründet wurde, gehörte Seibt ebenso zum Gründungsvorstand wie Heidrun Walde (*1948), langjährige Funktionärin der Republikaner, der REP-Abspaltung Demokratische Erneuerung und ab 2007 der Landes-NPD.

Nach geglückter Wiederwahl 1999 bildete Seibt im Stadtrat ab 2003 eine gemeinsame Fraktion mit dem für die Deutsche Volksunion (DVU) gewählten Rudolf Allenstein (*1938), der nach seinem DVU-Austritt bis 2003 für die FDVP aktiv war und 2006 für die Kleinstpartei Freiheitliche Partei Deutschlands (FP) für den Landtag kandidierte. In den 1990er Jahren war Allenstein Vorstandsmitglied der SPD Roßlau. Später distanzierte er sich offenbar von seiner Zeit in der extremen Rechten und kritisierte u.a. rassistische Vorurteile gegenüber den Kindern seiner aus dem Kamerun stammenden Frau.

Auch nach den Kommunalwahlen 2004 bildete Seibt als einziger Bürgerliste-Verordneter wieder eine gemeinsame Fraktion, diesmal mit den beiden Einzelverordneten von FDP und Offensive D (ex-“Schill-Partei“). Im März 2007 löste sich die Bürgerliste auf, weil es in Dessau eine politisch anders gelagerte Bürgerliste gab, was bei den durch die Fusion der Städte nötigen Neuwahlen zu Verwechslungen hätte führen können. Seibt trat nun – erfolglos – für die Freien Wähler Dessau-Roßlau an. Ab Anfang 2012 war er eine Zeitlang Mitglied der Piratenpartei. Später trat auch er in die AfD ein.
René Diedering

Nach den Kommunalwahlen 2024 hatte mit René Diedering (*1971) ein Kochstedter Nachbar von Joachim Nothdurft den Vorsitz der AfD-Stadtratsfraktion inne. Auch Diedering ist seit Jahren als extrem Rechter bekannt. Schon in seiner Zeit als Kreisvorsitzender der Jungen Union (JU) und CDU-Vertreter im Jugendhilfeausschuss der Stadt Anfang der 2000er Jahre fiel er mit fehlender Distanz nach Rechtsaußen auf. Zuvor war er 1999 – erfolglos – auf Listen der CDU für den Stadtrat Dessau angetreten.
Als 2003 im Alternativen Jugendzentrum Dessau (AJZ) eine Ausstellung über die extreme Rechte und Gegenstrategien im Raum Anhalt gezeigt wurde, fand er es bspw. angemessen, dort abends – nach eigener Aussage von einer Party im rechten Fußball-Milieu des damaligen FC Anhalt kommend und entsprechend „beschwingt“ – in Begleitung eines stadtbekannten Neonazis aufzutauchen, Kraft seines Amtes als Mitglied des Jugendhilfeausschusses Einlass zu verlangen und zu berichten, dass er ja früher schon für eine extrem rechte Partei aktiv gewesen sei. Einige Jahre später war Diedering in verschiedenen Positionen für die eng mit dem früheren rechten FC Anhalt-Fan-Milieu verbundenen ASG Vorwaerts Dessau aktiv.

Am Rande eines Fußball-Oberliga-Derbys 2001 zwischen SV Dessau 05 und FC Anhalt Dessau griffen Neonazis und rechte Hooligans Fans des SV Dessau 05 und das AJZ an. Dabei riefen sie „Hier marschiert der nationale Widerstand!“ und „Wir bauen eine U-Bahn nach Auschwitz!“. Diedering behauptete Tage später in einem Leserbrief an die MZ wahrheitswidrig, am Stadion im Schillerpark hätten „Sympathisanten dieser sogenannten Antifa Dessau“ „mit Stahlketten und Flaschen andere Fans verletzt“. Zumindest wegen des Angriffs auf das AJZ mussten sich später Fans des FC Anhalt vor Gericht verantworten.


Ab den späteren 2010er Jahren zeigte Diedering seine Gesinnung offen. In der Region trat er bei etlichen Neonaziaufmärschen als Teilnehmer, Ordner und auch Redner auf. Wohl wegen seiner Erfahrungen gehörte er schnell zum engeren Kreis um den Neonazikader Alexander Weinert (*1985) aus Roßlau50. Im April 2021 beteiligte er sich an einem versuchten Angriff auf Proteste gegen eine Mahnwache für den Holocaustleugner Horst Mahler in der Dessauer Innenstadt.


Bei den Kommunalwahlen 2024 zog Diedering nun für die AfD in den Stadtrat und den Ortschaftsrat Kochstedt ein. Die Stadtratsfraktion machte ihn gar zum Vorsitzenden. Im Juli berichtete die MZ, dass Diedering der AfD bei seinem Eintritt 2023 eine frühere NPD-Mitgliedschaft verheimlicht hatte, die eigentlich zur Nichtaufnahme in die AfD hätte führen müssen. Der AfD-Bundesvorstand wollte ihn daraufhin ausschließen. Diederings Behauptung, er wäre seines Wissens nach nie NPD-Mitglied gewesen, ist wohl ebenso dreist wie die Behauptung der AfD, nichts davon gewusst zu haben, denn auch aus der AfD gab es anderslautende Wortmeldungen51. Nach einem Bericht von Projekt Gegenpart hatte Diedering schon im Januar 2018 bei einer AfD-Veranstaltung betont, als „NPD Mitglied [….] gegen die Antifa kämpfen“ zu wollen52. Und schon im November 2009 kondolierte ein René Diedering auf einer Website der NPD dem verstorbenen Neonazikader Jürgen Rieger (*1946 † 2009): “Du bist nicht für immer weg, du bist nur ein Stück vorausgegangen.” Wegen der Vorwürfe trat Diedering schließlich aus der AfD aus und legte seinen Fraktionsvorsitz nieder53. Ganz fallen ließ die Partei ihn aber nicht. Heute ist er wie Joachim Nothdurft Fraktionsvize54.

Besonders beeindruckt hat die Affäre Diedering offenbar nicht. Zuletzt war er im Februar 2025 mit Weinert und anderen Dessauer Neonazis beim jährlichen neonazistischen Aufmarsch in Dresden zu sehen55.
Normalisierung der extremen Rechten
Die AfD Dessau-Roßlau muss als geschlossen extrem rechts und in immer größeren Teilen neonazistisch betrachtet werden. Eine langjährige Biografie in der Neonaziszene ist für den Stadtverband offensichtlich nicht etwa Grund für ein Ausschlussverfahren. Es drängt sich eher der Eindruck auf, dass sie eine notwendige Bedingung ist, um hier Karriere zu machen. Laurens Nothdurft und sein familiäres Umfeld stehen hierfür exemplarisch. Aber eben nur exemplarisch.
Nach 1945 sind riesige völkische Netzwerke entstanden, in denen NS-Gedankengut ungehindert über Generationen hinweg an die Kinder und Kindeskinder weitergegeben wird. Sie sind nach außen vor allem kulturell ausgerichtet, pflegen Brauchtum, Volkstanz oder NS-Liedgut, szeneintern aber reicht der Einfluss von Völkischen bis in die Bundestagsfraktion der AfD.
Die Gesamtpartei AfD ist längst Sammelbecken und Strukturverstärker weiter Teile der extremen Rechten in Deutschland geworden. Das war schon Jahre vor der Einstufung des Landesverbands Sachsen Anhalts durch den Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ allen klar, die ihnen zuhörten. Spätestens nach dem erfolgreichen Abschneiden bei den Kommunal- und Europawahlen im letzten Jahr gibt es offenbar auch keine Hemmschwellen mehr, diese Gesinnung nach außen zu tragen.
Die Normalisierung von AfD & Co. und damit das Verschieben des gesellschaftlichen Diskurses schreiten nicht zuletzt durch das Aufgreifen rechter Parolen durch andere Parteien von Union und FDP über BSW bis zu SPD und Teilen der Grünen und das verantwortungslose „Gleichbehandeln“ durch die meisten Medien schnell voran.
Im September nächsten Jahres stehen Landtagswahlen an. Aktuelle Umfragen sehen die AfD bestenfalls knapp hinter der CDU. Die Faschist*innen geben schon das Ziel einer absoluten Mehrheit aus. Dafür wollen sie mehr als eine Million Euro in den Wahlkampf stecken.
Es ist also höchste Zeit, alle Mittel einzusetzen, um der (weltweiten) Formierung eines neuen Faschismus zu begegnen.
Offenes Antifa-Treffen Dessau
Zum weiterlesen:
Andrea Röpke: Ferien im Führerbunker – Die neonazistische Kindererziehung der „Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ)“, 2. Auflage, Bildungsvereinigung ARBEIT u. LEBEN, Braunschweig, 2008.
Andrea Röpke, Andreas Speit: Völkische Landnahme – Alte Sippen, junge Siedler, rechte Ökos, Ch. Links Verlag, Berlin, 2019.
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Falls Ihr ergänzende Hinweise zu den hier behandelten Personen, der hiesigen AfD oder anderen Strukturen der extremen Rechten in der Region habt, meldet Euch gern unter:
oat.dessau@systemli.org / (GPG-Schlüssel)
Referenzen