Die AfD vor den Kommunal- und Europawahlen 2024
Am 9. Juni 2024 werden in Sachsen-Anhalt neben der Europawahl auch die kommunalen Vertretungen, Kreistage, Stadt- und Gemeinderäte sowie Ortschaftsräte neu gewählt.
Mit gut 900 Einzelpersonen kann allein die AfD dabei in diesem Jahr auf doppelt so viele Kandidierende zurückgreifen, wie noch bei den letzten Wahlen 2019. Die enorme Steigerung führt auch dazu, dass die Partei weniger streng kontrollieren kann, wer auf ihren Listen kandidiert.
Dass zuverlässiges Personal rar gesäht ist, zeigt sich auch am Fall Maximilian Tischer. Wie der Mitteldeutsche Rundfunk berichtete1, kandidiert der enge Freund und Helfer des verurteilten Rechtsterroristen Franco Albrecht in der Gemeinde Möser (Landkreis Jerichower Land) für den Gemeinderat, ohne dort, außer eines Briefkastens am Haus eines Parteifreunds, über einen echten Wohnsitz zu verfügen.
Tischer steht stellvertretend für eine Partei, die heute etablierter Bestandteil der extrem rechten Szene im Land ist. Viele neonazistische Akteure, die 2019 zum ersten Mal kandidierten, sind heute fester Bestandteil des Parteilebens und versuchen, ihre Mandate zu verteidigen.
Skandale dämpfen Erwartungen
Befand sich die AfD im Jahr 2023 noch im Umfragenhoch, machten ihr nach dem Parteitag zur Europawahl im Sommer zunehmend verschiedene Skandale zu schaffen. Nachdem bekannt geworden war, dass der Europawahlkandidat Arno Bausemer aus Stendal (Listenplatz 10) seinen Lebenslauf geschönt hatte, verlor dieser schließlich im Dezember seine Parteiämter2. Die Partei hält dennoch weiter an ihrem Kandidaten fest, auch im Landesverband ist neben dem wohl vor allem strategischen Ämterverlust keine Distanzierung erkennbar. Neben der Europawahl kandidiert Bausemer auch auf Spitzenplätzen für den Kreistag im Landkreis Stendal und den Stendaler Stadtrat.
Seit dem Frühjahr 2024 setzen dann die Berichte über das sogenannte „Potsdamer Geheimtreffen“ den Umfragewerten nachhaltiger zu. Einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurden dabei die seit Jahren offen formulierten Pläne von Teilen der AfD und ihres Vorfelds zur ethnischen Säuberung der deutschen Bevölkerung unter dem Stichwort „Remigration“. Mit Ulrich Siegmund nahm auch der Fraktionschef der Partei im Landtag teil, in Begleitung seines Mitarbeiters Patrick Harr.
Der medial bisher prominenteste Fall eines Kandidaten mit Neonazi-Vergangenheit findet sich in Dessau mit Laurens Nothdurft. Der Mitarbeiter der AfD-Landtagsfraktion und siebenfache Vater war in den 2000er Jahren, wie auch sein Kollege Patrick Harr, in der 2009 verbotenen Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ) aktiv. Auch Laurens Vater Joachim Nothdurft kandidiert für den Dessauer Stadtrat. Auf ihn war eine Zeit lang die Webseite der HDJ angemeldet. Vater und Sohn waren lange nicht nur in der rechten Kleinpartei DSU aktiv, sondern bewegten sich auch im Umfeld der NPD.
Fotos aus dem Jahr 1996 zeigen Joachim Nothdurft als Teilnehmer eines rechten Vernetzungstreffens am Kyffhäuser in Thüringen. Auch mit dabei: Damals führende Aktive des Thüringer Heimatschutz, darunter die spätere NSU-Terroristin Beate Zschäpe3. Mit dem damaligen Umfeld hat die Familie Nothdurft keineswegs gebrochen: Erst im Februar 2024 konnte der Familienvan von Laurens und Hildegard Nothdurft bei einer Feier völkischer Familien in Niedersachsen gesichtet werden, mit dabei war auch der als „Volkslehrer“ bekannte Holocaustleugner Nikolai Nerling.
Der Stadtratskandidat Rene Diedering ist seit Jahren in der lokalen Neonaziszene aktiv. In der Vergangenheit nahm er an zahlreichen lokalen Szeneveranstaltungen teil. Auch auf sozialen Medien zeigte er seine Posiionen deutlich: Dort teilte er etwa den Aufruf zu einer Kundgebung, die Freiheit für den Holocaustleugner Horst Mahler forderte und ein Plädoyer zum militanten Widerstand gegen das System.
Szene-Sumpf im Norden
Schon im Jahr 2019 fielen die beiden AfD-Kreisverbände in der Altmark durch eine hohe Dichte an aktiven und ehemaligen Neonazis auf. Auf Spitzenplätzen kandidiert auch in diesem Jahr wieder der Kreisvorsitzende Sebastian Koch aus Gardelegen, der nach eigenen Angaben auf „20 Jahre“ Szene-Vergangenheit zurückblicken kann. Daneben treten in diesem Jahr auch Steffen Giebler, Fabian Prochorowsky und Thomas Korell wieder an.
Neu hinzugekommen ist Christoph Bajerski. Der Hochbaufachwerker aus Gardelegen zeigt auf seinem facebook-Profil umfangreiche Bezüge zur Szene, in seinen „Gefällt mir“-Angaben finden sich etwas die Szenemarke Thor Steinar, die Rechtsrockband Terrorsphära, sowie die mittlerweile geschlossene Kneipe Lokal 18 in Naumburg.
In Tangerhütte im benachbarten Kreis Stendal findet sich auf Listenplatz 12 ein alter Bekannter wieder: Steven Hanczyk war seit Mitte der 2000er Jahre in der regionalen Neonaziszene aktiv, später dann in Magdeburg bei der Identitären Bewegung. Schon seit mehreren Jahren ist Hanczyk bei Parteiveranstaltungen in der Region anzutreffen. Auf dem Messengerdienst Telegram betreibt Hanczyk einen Kanal namens Handschuhfach, wo er mithilfe tausender rechter Memes zwischen triefendem Rassismus, Antisemitismus, Frauenverachtung, Queerfeindlichkeit und verbotenenen NS-Symbolen seine Weltsicht offenbart.
Auf dem ersten Listenplatz tritt in Tangerhütte mit Michael Grupe der amtierende Ortsbügermeister des Ortsteils Uchtdorf für die Partei an.
Im Jerichower Land fallen neben dem Briefkasten-Kandidaten Maximilian Tischer vor allem die Brüder Dirk und Uwe Bernsee auf, die für den Stadtrat von Burg kandidieren. In dem Gebäude, in dem die beiden Fitness- und Kampfsportstudios betreiben, befindet sich neben dem Wahlkreisbüro von Jan Scharfenorth (Listenplatz 2 für den Stadtrat) auch ein mit zahlreichen NS-Devotionalien geschmückter Veranstaltungsraum.
In Zabakuck (Stadt Jerichow) kandidiert der Neonazi Julian Tiefert für den Ortschaftsrat.
Magdeburg: alte und neue Neonazis
Spitzenkandidat der AfD in Magdeburg ist Ronny Kumpf. Über dessen Verbindungen ins Milieu Magdeburger Kleinkrimineller und Neonazis ist bereits einiges bekannt.
Auch aktuelle Fotos zeigen Kumpf in illustrer Runde nicht nur mit dem dutzendfach vorbestraften Kampfsportler Sascha Poppendieck4, sondern auch Arm in Arm mit Andy Hoffmann (geb. Andy Knape), dem ehemaligen Bundeschef der NPD-Jugendorganisation und jahrelangen Organisator von Neonazi-Aufmärschen in Magdeburg.
Auf einem weiteren aussichtsreichen Listenplatz bei der Stadtratswahl in Magdeburg steht Florian Ruß. Der 26-jährige war nicht nur in der Identitären Bewegung (IB) aktiv, sondern ist auch eine treibende Kraft des extrem rechten AfD-Jugendverbands Junge Alternative (JA) im Land.
Ein Foto zeigt Ruß mit Leon Bach beim Verteilen der lokalen Parteizeitung Blauer Reiter. Gemeinsam mit seinem guten Freund Jeremy Niemz ist Bach nicht nur Mitglied der JA, sondern auch Teil einer etwa 10-köpfigen Gruppe junger Neonazis, die im Frühjahr 2024 wiederholt in der Magdeburger Innenstandt mit Kleidung im Stil von Nazi-Skinheads der 90er Jahre auffielen: In Springerstiefeln mit weißen Schnürsenkeln und Bomberjacken zog die Gruppe durch die Stadt, zeigte Hitlergrüße und versuchte, vermeintliche politische Gergner:innen einzuschüchtern. In Sozialen Medien zeigen sich die Jugendlichen und jungen Erwachsenen wiederholt mit einer Geste, die ein Feuerzeug symbolisieren soll. Diese dient als Bezugnahme auf den russischen Neonazi Maxim Marzinkewitsch alias „Tessak“, dem neben queerfeindlichen Verbrechen auch mehrere Morde, u.a. aus rassistischen Motiven, zugeordnet werden können5.
Harz: Querschnitt der rechten Szene
Start zugenommen haben in den vergangenen Jahren die Aktivitäten extrem rechter Akteure im Harz. Das spiegelt sich auch in den Wahllisten der AfD wider. Die Partei schafft es hier, nahezu alle Spektren der Szene zu repräsentieren.
Auf dem aussichtsreichen Listenplatz 4 für den Blankenburger Stadtrat kandidiert mit Anja Maria „Aruna“ Schulz ein Gesicht der völkischen Anastasia-Siedler:innen von Weda Elysia aus Wienrode. Schon seit Jahren sorgt die Gruppe, der auch Sebastian Kaiser (Listenplatz 11) angehört, landesweit für mediale Aufmerksamkeit mit ihren Versuchen, die lokale Bevölkerung für sich zu vereinnahmen. Im Dorf Wienrode selbst kandidiert die Gruppe, ergänzt um Johannes Degel, mit der Liste Schönes Wienrode erneut für den Ortschaftsrat. Nebenher ist Schulz auch als Pressesprecherin der verschwörungsideologischen „Bürgerinitiative“ Schöne Harzer Heimat aktiv, die mit unwissenschaftlichen Argumenten gegen Windkraftanlagen im Harz agitiert. Während Weda Elysia in der Öffentlichkeit weiterhin versucht, sich einen bürgerlichen Anstrich zu geben, zeichnen interne Veranstaltungen ein anderes Bild: Im 2023 eröffneten Haus Lindenquell fanden im Frühjahr 2024 mehrere pseudowissenschaftliche und rechtsesoterische Seminare statt, etwa zur Germanischen Heilkunde mit der Reichsbürgerin6 Katharina Doris Schammelt aus Petersberg, oder zur Kineosologie mit Baldur Borchardt7.
Weda Elysia nahe steht Kandidat Rudi Nawratek aus Weddersleben (Thale). Auf dessen Rudis Heimathof genannten Grundstück in Weddersleben fanden etwa mehrfach Konzerte mit dem Anastasia- und Querdenken-Anhänger8 Jens Eloas Lachenmayr alias Eloas Min Barden statt.
Ebenfalls im Umfeld von Schöne Harzer Heimat aktiv ist Silvio Lechte, der für den Stadtrat Ilsenburg kandidiert. Der Ex-Neonazi ist ein Netzwerker zwischen den verschiedenen Milieus im Harz.
Gleich drei Kandidaten aus dem Harz nahmen in den Jahren 2023 und 2024 wiederholt an dem NS-verherrlichenden Tag der Ehre in Budapest9 teil. Fotos und Teilnehmerlisten des dazugehörigen 60 Kilometer-Marschs Ausbruch 60 belegen die Teilnahme von Andy Stechhahn (Wernigerode), Maximilian Ziems und Tino Lippert (beide Thale) an der Veranstaltung, bei der Jahr für Jahr Neonazis aus ganz Europa, teils historisch kostümiert und mit NS-Symbolen ausstaffiert, der deutschen Wehrmacht und ihren ungarischen Verbündeten gedenken.
Andy Stechhahn gehört außerdem der Motorrad-Fahrgemeinschaft REDEDGE aus Wernigerode an. Deren „Präsident“ Bernd Stellmacher war im Februar 2024 ebenfalls Teilnehmer beim Tag der Ehre.
Maximilian Ziems bewegte sich in den vergangenen Jahren im Umfeld der Neonazi-Gruppe Harzrevolte. Ein Foto von einem Corona-Protest in Magdeburg zeigt ihn mit dem ebenfalls aus Thale stammenden Neonazi Marcel Kretschmer.
Über eine einschlägige Szene-Vergangenheit verfügt auch Maximilian Oppermann (Halberstadt). Am Vortag einer NPD-Demonstration im Oktober 2004 in Hannover war er mit anderen Neonazis in der Stadt unterwegs. Die Gruppe, die auch einen Kampfhund mitführte, bedrohte und verfolgte einen türkischstämmigen Arbeiter bis zu seiner Haustür, wo sie ihn dann schließlich zusammenschlug, nachdem er versucht hatte, sich mit einem Taschenmesser gegen die Angreifer zur Wehr zu setzen.
Rocker, Burschenschafter und Verschwörungstheoretiker aus, in und um Halle
Für den Harzer Kreistag und den Quedlinburger Stadtrat kandidiert mit Merlin Leone ein Mitglied der extrem rechten Halle-Leobener Burschenschaft Germania (HLB).
Zwei weitere Mitglieder der HLB gehen in Halle (Saale) für den Stadtrat ins Rennen: Thorben Vierkant und Benedikt Weiß.
Wie schon 2019 kandidiert auch in diesem Jahr der Verschwörungstheoretiker Donatus Schmidt aus dem Umfeld des Neonazis Sven Liebich wieder für den Hallenser Stadtrat.
In der Gemeinde Muldestausee und Ortsteil Friedersdorf (Landkreis Anhalt-Bitterfeld) tritt mit Gernot Hahnel ein ehemaliger Rocker-Chef der Region für Gemeinde- und Ortschaftsrat an. Eine Videoaufnahme zeigt einen Auftritt des 1963 geborenen „Selbständigen“ auf einer Demonstration von Sven Liebich in Halle. In einer sorgsam formulierten Rede ruft der ehemalige „Präsident“ des in der rechten Szene verankerten Underdogs MC Halle/Saale Motorradclubs und Fußballfans zum gemeinsamen Widerstand auf.
Im Saalekreis kandidiert erneut Sven Ebert für den Gemeinderat von Schkopau. Der im Umfeld von Identitärer Bewegung und Compact-Magazin aktive Umzugsunternehmer wurde in den vergangenen Jahren wegen zweier Angriffe auf politische Gegner:innen zu jeweils 6 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt10. Auch im Zusammenhang mit Siedlungsplänen von Reichsbürgern in der russischen Enklave Kaliningrad spielte Ebert eine Rolle: den Initiatoren des Projekts vermittelte er ein Treffen mit Compact-Verleger Jürgen Elsässer.
Abspaltung
Ergebnis parteiinterner Auseinandersetzungen sind erneut kleinere Abspaltung der AfD: In der Gemeinde Seegebiet Mansfelder Land tritt die Aktion Robert Farle um den gleichnamigen inzwischen parteilosen Bundestagsabgeordneten zur Gemeinderatswahl an. Nach Streitigkeiten um die Position der Partei zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine hatte Farle die AfD 2022 verlassen.
Ehemalige AfD-Mitglieder kandidieren auf neuen Listen auch in der Stadt Köthen und der Gemeinde Sülzetal.
Referenzen