1993: Prozessbericht zum Tod von Torsten Lamprecht in Magdeburg

Anlässlich des 27. Jahrestags des Angriffs von Nazi-Skinheads auf das Lokal Elbterassen in Magdeburg und des Todes von Torsten Lamprecht veröffentlichen wir einen Prozessbericht von Magdeburger Antifaschist_innen, erschienen in der BesetzerInnenzeitung Nr. 42 vom 18. Februar 1993.

Zur Erinnerung: Am 9.5.1992 überfielen Skins eine Geburtstagsparty von Punks in dem Magdeburger Ausflugslokal Elbterassen. Sie zerstörten die Gaststätte und schlugen mit Baseballschlägern und Eisenstangen auf die Partygäste ein. Die meisten von ihnen wurden verletzt, acht davon schwer. Einer von ihnen, Torsten Lamprecht, starb zwei Tage später an seinen Kopfverletzungen im Krankenhaus.(BZ 23/92) Etwa 40 der beteiligten Skins wurden von der Polizei namentlich ermittelt. Den meisten konnte man außer ihrer Anwesenheit nichts nachweisen, sodaß viele mit Auflagen zur gemeinnützigen Arbeit z.B. in ihrem Fascho-Club oder Geldstrafen davon kamen. Nur die wenigen, die im ersten Verhör irgendetwas zugaben oder von anderen belastet wurden, konnten dafür belangt werden.

Bisher sind drei Prozesse wegen Körperverletzung, Landfriedensbruch und Beteiligung an einer Schlägerei geführt worden. Am 14. Dezember wurden die Urteile in dem Hauptprozeß, der vor allem den Mord an Lampe aufzuklären versuchte, verkündet: Frank Frieske war vor allem des versuchten Totschlags, Dirk Manske, Olaf Bertram, Pierre Weske und Michael Kaufholz der Körperverletzung u.a. angeklagt. Nach bundesdeutschem Recht konnte Frieske die Schuld an Lampes Tod nicht nachgewiesen werden, obwohl Zeugen gesehen und gehört hatten wie er mit einem Baseballschläger jemandem auf den Kopf schlug. Aber war es denn eindeutig Lampes Schädel der da zu Bruch ging und wenn ja WER hatte denn nun DEN tödlichen Schlag ausgeführt? Das mehrere Faschos blindlings und brutal auf andere einschlagen erhöht das Urteil nicht, sondern macht es schwieriger, dem einzelnen die Verantwortung für die Tat nachzuweisen und dadurch das Strafmaß niedriger. Der Wolfsburger Frieske bekam eher wegen seiner noch laufenden Bewährungsstrafe und bereits “einschlägigen” Verurteilungen eine Hauptrolle bei dem Überfall zugeschrieben und 6 von 11 möglichen Knastjahren, wobei noch zwei Jährchen aus der Bewährungsstrafe dazukommen.

Dirk Manske, der als besonders brutaler faschistischer Skin bekannt ist und der Lampe mit anderen schon mal vor zwei Jahren zusammengeschlagen hatte, versuchte in dem Prozeß durch öffentliche Läuterung das zu erwartende Strafmaß zu senken. Er erklärte seinen Austritt aus der DVU und erschien in ziviler Kleidung. Die Rechnung ging nicht auf, er darf 3 Jahre absitzen. Olaf Bertram, Pierre Weske und Michael Kaufholz erhielten jeweils zwei Jahre. Knast, wobei sie nur bei Bertram, wohl durch dessen hohles und offen faschistisches Auftreten vor Gericht nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Entscheidungen des Richters gingen über die von der Staatsanwaltschaft geforderten Strafen hinaus, Frieske und Bertram legten Revision ein. Gegen Weske läuft noch ein weiteres Ermittlungsverfahren, in dem er beschuldigt wird, gemeinsam mit zwei anderen, einen Norddeutschen in die Elbe getrieben zu haben.

Im zweiten Prozeß wurde Göring zu 2 Jahren Knast verurteilt, des weiteren Alvermann und Ruden, deren Strafen zur Bewährung ausgesetzt wurden. Am 1. Februar 1993, bei der bisher letzten Urteilsverkündung, wurde Raubaum zu 1 Jahr und 6 Monaten mit Bewährung, sowie Grigoleit und Kutscher zu einem Jahr, jeweils ohne Bewährung, verknackt. Der vierte Prozeß gegen Elmar Heinrichs, sowie Mario Fretter und Dirk Schröder begann am 2. Februar vor dem Amtsgericht. Der Prozeß ist insofern noch mal interessant, da Heinrichs eine schillernde Figur der Hooligan-Szene ist, der sich an vielen Überfällen beteiligte, aber bisher immer aus allem wieder herauswand und diesmal wohl grundsätzlich bestreitet an dem Überfall beteiligt gewesen zu sein. Mindestens ein weiterer Prozess wegen des Überfalls wird noch folgen.

In Anbetracht der verstärkten Übergriffe auf Linke, wie den Tod von Silvio Meier und Kerstin Winter sind wir zunehmend mit dem Problem konfrontiert zum einen die polizeilichen Ermittlungen zu unterstützen, um die Täter zu finden und gleichzeitig zu verhindern das die eigenen Strukturen bei der Gelegenheit aufgerollt werden. Das macht es notwendig sich mit dem Verhalten der Justiz und Polizei in solch einem Prozeß genauer auseinanderzusetzen.

Wir sprachen mit Wolfgang Kaleck, der acht bei dem Skin- Überfall verletzte Punks und die Mutter von Torsten Lamprecht als Nebenkläger vertritt.

BZ: Was ist dem Gericht über den Überfall bekannt?
WK: Der Jugendklub “Alexis Kiwi” war eine Woche vor dem Elbterassen-Überfall Treffpunkt von Norddeutschen Schlägern (Wolfsburg und Braunschweig), Dorfschlägern aus dem Umland und Magdeburgern. Zwischen ihnen bestand seit der Maueröffnung ein loser Kontakt über z.T der FAP nahestehende Skins; wobei nicht alle beteiligten Magdeburger rechtsradikalen Organisationen zuzurechnen sind.

Angeblich “weils so nett war” verabredete man sich für das darauffolgende Wochenende. Eine Woche später hatte in einem Dorf eine Skindisco dicht, so daß überdurchschnittlich viele Rechte – an die 60-80 Leute – im “Kiwi” saßen. Von dort fuhr Mario Stendel mit drei weiteren zu der Punkparty in den Elbterassen, um angeblich einen Bekannten zu treffen. Stendel – ein Grenzgänger zwischen Punk und Skinszene – hat aber niemanden besucht, sondern ging zielstrebig zum Bierstand und zischte sich vier Bierchen rein. Bertram und Weske warteten mit noch jemandem in dem Auto und als er nach 10 Minuten nicht aus dem Gelände rauskam fuhren sie zurück und erzählten im Klub, daß er in den Elbterassen festgehalten würde, (Es ist nicht nachweisbar, inwieweit die Sache geplant und Stendel ein Späher war.) Daraufhin erscholl ein „Jetzt gehts los!“ und im Nu war der Club leer. Sie setzten sich in die Autos und fuhren in einem Konvoi zu den Elbterassen. Dort stellten sie die Autos in der Nähe ab und griffen die Gaststätte von zwei Seiten an.

In der Nähe der Tanzfläche standen noch ungefähr 10-12 Punks, die praktisch nichts mitbekommen hatten, weil sie angetrunken und überrascht waren und das Ganze sehr schnell ging. Eine Gruppe von Angreifern agierte dort äußerst brutal mit Baseballkeulen, so das es gerade im Umfeld der Tanzfläche zu den schwersten Verletzungen: den tödlichen von Lampe und anderen schweren Kopfverletzungen kam. Diese Angreifer zogen sich dann wohl ziemlich schnell zurück und es entstand eine allgemeine Keilerei.

Irgendwann tauchte dann mal die Polizei auf – mit sehr geringen Kräften offensichtlich – und zog sich, weil sie Schiß hatten, gleich wieder zurück. Das kann man durchaus nach- vollziehen, aber was man heftig kritisieren muß, ist, das sie keine Maßnahmen ergriffen, die abziehenden Skins, oder wenigstens einen Teil von ihnen festzuhalten, oder ihre Autonummern zu notieren.
Wenn sie auch nur eins davon getan hätten, so hätten sie noch in der Nacht Fahndungsmaßnahmen ergreifen, erste Festnahmen machen und unter Umständen blut-verschmierte Waffen finden können. Auch hätte man vielleicht den einen oder anderen Zeugen erwischt. Sie machten jedoch nicht einmal den Versuch zu folgen. Selbst der zuständige Staatsanwalt wurde nicht benachrichtigt, sondern erfuhr das Ganze erst am Montag Morgen aus der Zeitung.

BZ: Worin liegen Deiner Meinung nach die Ursachen dafür, das die Bullen weder am Tatort ordentlich ermittelten, noch eine gute Vorbereitung des Prozesses leisteten?
WK: Das ist schwer einzuschätzen. Ich denke, daß die Polizei ab irgendeinem Zeitpunkt ernsthaft zu ermitteln anfing, weil ihr klargeworden war, was da passierte. Soviel ich gehört habe, hat der Tod von Torsten Lamprecht auch in Polizeireihen starke Betroffenheit ausgelöst, da war es auch dem letzten klar, das das jetzt eine neue Qualität ist. Aber bis da hin hat es allerdings gedauert.
Es ist ihnen vorallem vorzuwerfen, daß sie vor den Elbterassen etliche Überfälle, teilweise mit schweren Folgen ignorierten: z.B. wurde ein Auto in dem zwei Punks saßen in Brand gesteckt, und als sie aus dem brennenden Auto sprangen, wurde einer schon mal bewußtlos geschlagen. Außerdem gab es mindestens einen Überfall auf eine Wohnung, die auch Treffpunkt von Punks war und etliche Überfälle auf das Jugendzentrum “Knast”. Wenn die Überfallenen daraufhin zur Polizei gingen, hat diese meistens nicht ordentlich ermittelt, was dazu führte, daß die Leute irgendwann nichts mehr anzeigten. Deswegen waren die meisten Skins nicht vorbelastet: nicht weil sie nichts getan hatten sondern weil nichts verfolgt wurde. In diesen Fällen wäre es wichtig gewesen, wenn die Polizei gleich, als sie merkte da finden massiv Übergriffe statt, die nicht mehr einfache Schlägereien sind, sondern in denen Menschen mit Waffen angegriffen und brutal verprügelt wurden, auf dem Plan gestanden hätte. Sie hätte ermitteln müssen. Das da die ganze Zeit nichts passiert ist, ist eigentlich der größte Vorwurf. Das ist sicher zum Teil Unfähigkeit, zum Teil ist es auch der tendenziellen Rechtslastigkeit der Polizei geschuldet und noch aus DDR-Zeiten stammenden Vorurteilen der Polizisten gegenüber den Punks.

BZ: Wann wurde die Polizei informiert? Gab es Faschoalarm oder war vorher etwas bekannt? .
WK: Der Besitzer der Elbterassen rief zu Beginn der Party bei der Polizei an und teilte mit, daß eine Fete von Punks stattfindet. Er befürchtete Probleme mit der Polizei und fragte an, ob er die Fete anmelden müßte, aber richtig angemeldet hat er sie nicht.
Immer wenn Punks in Magdeburg eine größere Veranstaltung oder Feier hatten, dann schwang da die Angst mit, es könnten Skins angreifen. Aber es gab keine konkreten Hinweise, im Gegenteil, bei der Größe der Party wurde das einfach nicht erwartet.
Auf den Anruf des Kneipers hin, gab es die Auflage an ein Polizeifahrzeug, vermehrt in der Nähe Streife zu fahren. Leider gibt es dort keine Funkleitzentrale in der der Funk- verkehr aufgezeichnet wird, sonst hätte man das nachlesen können. So sind wir auf das angewiesen, was an Notizen gefunden wurde. Aus diesen ist ersichtlich , daß sie tatsächlich dort mehrmals vorbeifuhren, aber das es nichts bemerkenswertes gab und sie deswegen die Streife einstellten.
Als der Überfall begann, wurde die Polizei von zwei Nachbarn der Elbterassen angerufen. Sie sind dann relativ schnell dagewesen, mit zwei bzw. später drei Streifenwagen.
Es gab da ja noch das Gerücht eines Täuschungsmanövers, bei dem angeblich massive Polizeikräfte in einen ganz anderen Teil Magdeburgs gelockt wurden. Der Anrufer konnte ausfindig gemacht werden, er hatte offensichtlich den Zapfenstreich eines anderen Jugendklubs mitbekommen, wobei aus dem Klub ziemlich viel angetrunkene Jugendliche kamen und etwas lärmend zu der nahegelegenen Straßenbahnhaltestelle zogen. Er hatte schon den Bürgerkrieg drohen sehen und die Polizei angerufen, die dann auch kam.
Die Polizei fuhr von dort aus relativ schnell zu den Elbterassen. Nachdem sie dort eintrafen, fuhr ein Wagen bis zum Eingang vor und als sie sahen das es da fürchterlich hin und her ging, zogen sie sich bis auf die Kreuzung, also 150 Meter von der Gaststätte entfernt, zurück. Dort haben sie dann abgewartet und nichts zur Ergreifung der Skins getan. Der erste Krankenwagen ist tatsächlich von ihnen zurückgehalten worden, mit der Begründung, es wäre noch zu gefährlich aufs Gelände zu fahren.
Es ist ein Ermittlungsverfahren wegen unterlassener Hilfeleistung gegen die Polizisten angestrengt worden, aber meiner Meinung nach, wäre nur in einem politischen Raum zu klären, ob es ein polizeiliches Fehlverhalten gab. Die Bündnis 90 Leute in Magdeburg müßten dafür Sorgen, daß ein Untersuchungsausschuß eingesetzt wird.

BZ: Was interessierte Dich an diesem Verfahren?
WK: Die politischen Hintergründe wollten wir erforschen und natürlich das Verhalten der Polizei. Aber es konnte weder die These eines von Norddeutschland aus organisierten Angriffs, noch die, daß die Polizei von Anfang an informiert war und den Überfall hätte verhindern können, in irgendeiner Weise belegt werden. Vieleicht hat man da mehr reinspekuliert, weil es für viele schlicht unvorstellbar war, das es ein Teil Magdeburger, deutscher Normalität geworden ist: das es keiner besonderen Faktoren bedarf, damit es zu so einem Überfall kommt. Die Leute wollen nicht wahrhaben, daß sein schlichter Samstagabend mit 60-80 angetrunkenen Skins und ein paar Autos genügt um ein solches Blutbad anzurichten. Das es soweit gekommen ist. Die versuchen da immer noch irgendwelche straffen Organisationen hineinzudenken.
Auch das Polizeiverhalten ist ”normal”. Es ist schlimm das es so ist. Aber wenn es Alltag geworden ist, dann erfordert es eine ganz andere Auseinandersetzung und vor den Konsequenzen schrecken dann viele zurück.

BZ: Welche Unterstützung hättest Du Dir von der Magdeburger Szene gewünscht?
WK: Der Prozeß gab die Möglichkeit die Tat, ihre Folgen und den ganzen Hintergrund in der Öffentlichkeit zu diskutieren. Wir haben den Magdeburgern Unterstützung für mehr Öffentlichkeitsarbeit angeboten. Es wäre gut gewesen zwischendurch Presseerklärungen herauszugeben und den ganzen Prozeß zu kommentieren. Aber viele hatten ein halbes Jahr nach dem Überfall nicht mehr viel Interesse an den Prozessen. Andere sagten: das ist eine Schweinejustiz, die machen eh was sie wollen um die kümmern wir uns nicht. Eine differenzierte linke Position wäre notwendig gewesen. Das dafür nicht genügend Interesse vorhanden war, hatte sicher auch etwas damit zu tun, das das JZ “Knast” genug Arbeit hatte, einerseits interne Probleme, andererseits mit den ständigen Skin-überfällen.

BZ: Was würdest Du empfehlen?
WK: Die Chance zu nutzen und einen Lernprozeß zu initiieren: wie gehe ich mit Justiz und Polizei um, wenn sie gegen Faschos ermitteln, gehe ich in diesem Fall zu polizeilichen Vernehmungen; gehe ich hin, wenn ich Beschuldigter bin; wenn ich Zeuge bin und wie laufen eigentlich solche Gerichtsverfahren
Außerdem ist es in solchen Situationen immer gut, eine Prozeßgruppe zu bilden und die Zeit bis zum Prozeßbeginn für eigene Recherchen zu nutzen, um Gerüchten nachzugehen, Zeugen ausfindig zu machen und vor allem den politischen Hintergrund der Täter zu recherchieren. Wenn der Prozeß beginnt ist es wichtig im Gericht präsent zu sein um den Opfern, den eigenen Leuten die Angst vor der Aussage zu nehmen und den Skins keine Show zu ermöglichen.

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