AfD zwischen vermeintlicher Abgrenzung und Zusammenarbeit mit rechten Netzwerken
Abgrenzungsversuche zur Identitären Bewegung
Am 19. Juni 2016, infolge verschiedener Veröffentlichungen1 zu Verbindungen zwischen der Partei Alternative für Deutschland (AfD) und der Identitären Bewegung (IB) sowie einer Erklärung des Vorstands der „Patriotischen Plattform“ (PP) in der AfD unter dem Titel „Wir sind identitär“, traten verschiedene Abgeordenete und Funktionäre der Partei mit einem sogenannten „Ruf der Vernunft“ an die Öffentlichkeit. Darin hieß es, das „Projekt AfD“ sei in Gefahr, wenn keine klare Abgrenzung zur in Teilen verfassungsfeindlichen IB erfolge2.
„Wir wollen keine Verschmelzung mit Organisationen, die als Auffangbecken für Extremisten fungieren, sie in ihren Reihen dulden oder zumindest ihr Verhältnis zu diesen nicht eindeutig geklärt haben. Wir wollen auch selbst kein Auffangbecken für ehemalige Netzwerke der NPD sein. Wir wollen keine enge Zusammenarbeit mit Gruppen, die sich selbst noch nicht gefunden haben. Die Identitäre Bewegung ist solch eine Gruppierung. Sie besteht in Deutschland aus heterogenen Ideologien und wird in Teilen nicht ohne Grund vom Verfassungsschutz beobachtet. Sie ist somit eine schwer einzuschätzende Gefahr für unsere bürgerliche Mitte. Daher sollten wir uns davor hüten, die Tür aufzustoßen ohne einenkritischen Blick auf die Akteure zu bewahren.“3
Das Schreiben richtete sich im Wesentlichen an den Landesvorsitzenden André Poggenburg und die Abgeordneten Hans Thomas Tillschneider und Jan Wenzel Schmidt. Beide waren zuvor durch mangelnde Distanz zur IB aufgefallen. Die Angesprochenen reagierten, indem sie selbst den Ruf der Vernunft unterzeichneten. In einem internen Schreiben an seine „Kameraden“ von der PP sprach Tillschneider davon, „dieser Attacke den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem wir sie in der Umarmung ersticken“4. Unabhängig vom Ausgang der Affäre schien das Anliegen der Erstunterzeichner wenig glaubwürdig, hatten doch unter anderem die maßgeblich beteiligten Abgeordneten Daniel Roi und Sarah Sauermann erst kurz zuvor ein Video für ihren Kreisverband von führenden Köpfen der IB produzieren lassen5.
Gemeinsame Positionen
Bis heute hat sich an den Verbindungen zwischen AfD und IB, aber auch zur restlichen Szene der Neuen Rechten wenig geändert. Zur sogenannten „Konferenz für Meinungsfreiheit“ des COMPACT-Magazins im November 2016 in Berlin trafen der Querfront-Populist Jürgen Elsässer (Chefredakteur COMPACT), der Österreicher Martin Sellner (IB), Lutz Bachmann und Siegfried Däbritz (beide PEGIDA) auf Oliver Kirchner und André Poggenburg (beide MdL AfD). Auf Anfrage der MZ erklärt Poggenburg, die AfD sei „gesprächsbereit in alle Richtungen“. Zudem wäre diese Konferenz keine Veranstaltung der Identitären und Martin Sellner sei dort – wie er selbst – auch nur ein Gast6. Die MZ stellt berechtigt die Glaubwürdigkeit vorheriger Abgrenzungsbeschlüsse der AfD in Frage. Dabei sind nicht nur die gemeinsamen Auftritte Beleg für die Zusammenarbeit, sondern vor allem die Anstellungsverhältnisse von bekannten Identitären bzw. der IB nahestehenden und damit die indirekte Finanzierung des antidemokratischen Aktionismus der Identitären.
Mit Datum vom 07. November 2016 hat der damalige AfD-Kreisvorstand und gegenwärtige stellvertretende Landesvorsitzende der AfD Sachsen, Dr. Thomas Hartung, erklärt, in der Zeit vom 20. Dezember 2014 bis zur Spaltung am 28. Januar 2015 zusammen mit Achim Exner, damals ebenfalls Kreisvorstand der AfD Dresden7, die schriftliche Pressearbeit für PEGIDA geleistet zu haben8. Die ersten zehn PEGIDA-Forderungen sollen aus dem sächsischen AfD-Landtagswahlprogramm abgeschrieben sein. Als im Mai 2016 Hans-Thomas Tillschneider als erster AfD-Offizieller als Redner bei einer PEGIDA-Kundgebung auftrat, stieß das im Bundesvorstand auf heftige Kritik. In einem Brief an den Landesvorstand Sachsen-Anhalt beschrieb die Bundessprecherin Frauke Petry das Verhältnis zwischen AfD Sachsen und PEGIDA als „direkte Konkurrenzsituation“9. Zumindest der faschistische Flügel der Partei um Björn Höcke und André Poggenburg suchte und sucht dennoch die Zusammenarbeit mit PEGIDA. Hartung erklärt dazu, dass die AfD von Beginn an PEGIDA integrieren wollte.
Neben diesen Zusammentreffen der rechten „Prominenz“ lenkte auch die Landesvorstandswahl der Jungen Alternative (JA) Sachsen-Anhalt am 22. Oktober 2016 die Aufmerksamkeit auf sich. Gewählt wurde dabei nicht nur Jan Wenzel Schmidt, sondern auch gleich zwei Mitarbeiter der AfD-Landtagsfraktion, Dr. Jan Moldenhauer und John Hoewer 10.
Arbeitsbeschaffung für rechte Netzwerker
Moldenhauer, Referent für Finanzen der Landtagsfraktion11 und Mitglied im Vorstand der PP, verfasste seine Doktorarbeit zum Thema „Peak Oil“ und fiel sonst als Autor in der Zeitschrift „Sezession“ des extrem rechten „Instituts für Staatspolitik“ um Götz Kubitschek auf12. Wie bereits in seiner Dissertation beschäftigt sich Moldenhauer hier vor allem mit der Thematik des Peak Oil13. Bis heute ist er Mitglied der Facebook-Gruppe des „Arbeitskreis Deutschland“ (AKD). Dieser gründete sich im Oktober 2010 auf Initiative von Herbert Gassen, ehemaliger Vorsitzender des „Arbeitskreis konservativer Christen“ (AKC), einer dem durch einen Antisemitismus-Skandal bekannt gewordenen hessischen CDU-Politiker Martin Hohmann nahestenden Organisation. Weitere im AKD aktive Personen waren der ehemalige PRO NRW-Generalsekretär Tony Fiedler und der rechte Journalist Robin Classen (u.a. „Blaue Narzisse“, „Eigentümlich Frei“)14 15. Ein Foto von einer AfD-Demonstration vom 21. September 2016 in Erfurt zeigt Moldenhauer gemeinsam mit dem Identitären Simon Kaupert. Dieser scheint mittlerweile seinen Lebensmittelpunkt von Würzburg nach Halle verlegt zu haben. Er gibt in eigenen Veröffentlichungen aktuell Halle neben Jena als Wohnort an. Als einer der Sprecher der Initiative „Ein Prozent“ betreute er den Infostand der Kampagne beim Kongress „Verteidiger Europas“ Ende Oktober in Linz (Österreich)16.
John Hoewer, ebenfalls Referent der AfD-Landtagsfraktion, trat vor Beginn seiner Parteikarriere mit dem offenbar pseudonymen Vornamen „Fritz“ auf, zuletzt als Redner für die von IB, IfS und COMPACT ins Leben gerufene „Initiative EinProzent“ bei Kundgebungen in Oranienburg17 und Lübbenau18, gemeinsam mit Simon Kaupert. Der 29-Jährige studierte zunächst Politik- und Gesellschaftswissenschaften an der Universität Bonn und war als Fechtwart der Kölner Burschenschaft Germania aktiv. Nach dem Abschluss seines Bachelorstudiums mit einer Arbeit zum Thema „Finalität der EU“ wechselte er 2013 an die Otto von Guericke-Universität Magdeburg19. In der Folge engagierte er sich unter anderem als „Verbandsobmann für Nachwuchswerbung und Sport“ des extrem rechten Dachverbandes„Deutsche Burschenschaft“ (DB) und begann, Artikel in der Blauen Narzisse zu verfassen. So berichtete er während seines Auslandsemesters in Rom etwa begeistert über eine Großdemonstration der Partei Lega Nord und die Gründungsversammlung des italienischen Ablegers der Identitären Bewegung („Generazione Identitaria“)20. In der Ausgabe 1+2/2014 der Burschenschaftlichen Blätter, der Verbandszeitung der DB, schrieb Hoewer in Reaktion auf einen Kommentar in der Tageszeitung taz:
„Burschenschafter sein, das ist per se ein Akt des Widerstandes. Widerstand, gegen die verblödete, identitätslose und entortete Dekadenzgesellschaft unserer Zeit. Wer sich uns anschließt, der tut dies als Akt der Loslösung von eurer rosaroten Trümmerlandschaft. Und als Fanal des Anstürmens gegen jenen neofeudalen Meinungsbrei, den Spießer deines Kleinkalibers der trägen Masse verdorbener Konsumjunkies jeden Tag gegen den Kopf schlagen. […] Man kann ja schon froh sein, wenn man bei euch die kleinbusige Guerillatruppe der Femen oder die Bratzen von „PussyRiot“ zu Gesicht bekommt und man sich als taz-Käufer so ganz heimlich Tittenbildchen angucken kann, ohne daß irgendeine stinkige Alte, mit Dread -locks und Metall im Gesicht, anfängt zu kreischen.“ 21
Auf dem Gruppenbild von der JA-Vorstandswahl ist außerdem Philip Thaler, Aktivist der „Kontrakultur Halle“23, einem der in Deutschland aktivsten Ableger der IB, zu sehen. Bereits im September 2015 war der Hallenser Identitäre Till-Lucas Wessels bei der Gründungsversammlung des JA-Gebietsverbands Saale-Unstrut anwesend. Wessels tritt zudem als Pianist für die Sängerin „Melanie Halle“ alias Melanie Schmitz, welche durch ihre Replik auf ein Video der Band „Jennifer Rostock“ bekannt wurde, in Erscheinung. Im September 2016 traten Schmitz und Wessels auf der Wahlparty der AfD in Schwerin auf, begeleitet von Schmitz Freund, dem militanten Neonazi24 25 Mario Müller26.
IB Magdeburg – Zwischen AfD und NPD
Beim „Identitären“-Ableger in Magdeburg hält man sich, im Gegensatz zu den Gruppen in Halle und im Harz27, mit öffentlichen Aktionen bisher weitestgehend zurück. Deshalb traten die Überschneidungen mit der AfD bzw. ihrer Jugendorganisation bisher nicht so offen zu Tage. Jedoch verfügen auch die Mitglieder von IB Magdeburg über gute Kontakte zur AfD, ins burschenschaftliche Milieu in Halle und in die Neonaziszene. Zu den Mitgründern der Gruppe zählen neben dem bereits als Wahlkreismitarbeiter von Jan Wenzel Schmidt in die Schlagzeilen geratenen Stefan Träger28, Steven Hanczyk und Luca Hart. Alle drei verbindet eine Vergangenheit bei der NPD-Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten“ (JN).
Ein Foto vom JN-Kongress in Kirchheim im Jahr 2012 zeigt Stefan Träger und Luca Hart gemeinsam mit dem zuvor noch in Magdeburg lebenden Mario Müller bei der Anreise. Auch dem Magdeburg AfDler und Wahlkreismitarbeiter des Abgeordneten Hagen Kohl, Christian Mertens, werden mindestens seit 2012 ahnhaltend enge Verbindungen zu Müller nachgesagt.
Hanczyk bewegte sich über Jahre im Umfeld der JN Magdeburg und wurde unter anderem als Anmelder einer neonazistisch dominierten Demonstration „Härtere Strafen für Kinderschänder“ in Magdeburg im Jahr 2012 bekannt29. Beim jährlich stattfindenden Januar-Aufmarsch von Neonazis 2014 in Magdeburg lief Hanczyk am Transparent der organisatorisch verantwortlichen „Initiative gegen das Vergessen“ mit. Bereits im Vorjahr hatte er gemeinsam mit Luca Hart und dem Magdeburger IBler Felix Krüger am Neonazi-Aufmarsch teilgenommen. Stefan Träger fungierte dort als Ordner.
Im Mai 2015 besuchten Träger und der heute ebenfalls in der AfD aktive Hart gemeinsam mit Jan Wenzel Schmidt und anderen JA-Vertretern das Stiftungsfest der „Halle-Leobener Burschenschaft Germania“(HLB), welche ebenfalls als Bindeglied zwischen IB, AfD und Neonaziszene fungiert30.
Luca Hart nahm bereits an Aktionen der IB in Berlin teil. Er wurde als Störer am 12. September 2016 im Gorki-Theater erkannt31. Am Wochenende darauf nahm Hart an der Sommerakademie des IfS in Schnellroda teil. Er ist eng mit Träger befreundet. Beide stammen ursprünglich aus einem Dorf in der Magdeburger Börde.
Distanzierung nur vorgetäuscht
Der offensichtliche Widerspruch zwischen offizieller Distanzierung der AfD von der „Identitären Bewegung”, als Nachfolgestruktur der JN, wie auch PEGIDA und der fortgesetzten praktischen Zusammenarbeit lässt sich nicht mit Unordnung in einer schnell gewachsenen Partei, die plötzlich im Landtag vertreten ist, begründen. Die Distanzierungen sind nur vorgetäuscht, IB, PEGIDA und die AfD vertreten in großen Teilen gleiche Positionen. Der Aufstieg der AfD hat jedoch eindrücklich gezeigt, dass es keine Rolle spielt, ob angeführte Behauptungen der Wahrheit entsprechen. Wichtiger als evidenzbasierte Fakten ist, ob sich das angebotene Erklärungsmodell mit der Gefühlswelt des Zielpublikums deckt. Und dem ist die weitere Verfilzung der völkisch-nationalen AfD mit der extremen Rechten vielleicht einfach egal.
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